Christoffer Wilhelm Eckersberg

Auf einer Holzkiste sitzende junge Römerin mit Spindel im Gegenlicht eines hell erleuchteten, hohen Fensters, 1813-16

Christoffer Wilhelm Eckersberg, von dem das Kupferstichkabinett bislang keine Zeichnung besaß (Anm.1), studierte 1803 bis 1809 an der Kopenhagener Akademie bei Nicolai Abildgaard. 1811/12 lernte er im Atelier von Jacques-Louis David in Paris, was sein künstlerisches Werk besonders in der Lichtführung stark prägte.
Diese Zeichnung einer jungen Römerin stammt aus Eckersbergs künstlerischem Nachlass, befand sich später u. a. in der berühmten Sammlung Hirschsprung in Kopenhagen, und entstand laut Aufschrift des Nachlasses während der Jahre seines römischen Aufenthaltes zwischen 1813 und 1816. Eckersberg wohnte damals auf Vermittlung seines ebenfalls dort logierenden Landsmannes, des Bildhauers Bertel Thorvaldsen in der bei Künstlern bekannten und beliebten mit dem Palazzo Tomati verbundenen Casa Buti in der Via Sistina 48, nahe der Spanischen Treppe.
Das Motiv ist für Eckersbergs Zeichenkunst während seiner Jahre in Rom eher ungewöhnlich, war er doch in dieser Zeit besonders für Historiengemälde wie „Hektors Abschied von Adromache und Astanax“ (1815) und Stadtansichten wie „Die Treppenanlage vor der Kirche von Santa Maria in Aracoeli“ (1813/16) berühmt. (Anm.2)
In einem einfachen Zimmer mit Steinfußboden postierte Eckersberg die dargestellte junge römische Frau in Dreiviertelansicht seitwärts bzw. beinahe von hinten auf einer roh gezimmerten Holzkiste sitzend vor einem hohen, geöffneten Fenster, das in einer Nische liegt. Sie hat eine Spindel unter den linken Arm geklemmt und hält den zu spinnenden Faden den Händen. Von draußen fällt helles, gleißendes Licht in den Raum hinein, dessen Schattenwürfe meisterhaft mit der fein abgestuften, braunen Lavierung modelliert werden. Das Mädchen wendet sich vom Fenster ab, und blickt absichtslos verträumt und selbstverloren in den Raum hinein, scheinbar ohne den Künstler wahrzunehmen. Ihre Haare sind kunstvoll geflochten und hochgesteckt, ihr Gesichtsschnitt ist typisch römisch.
Schon um 1812 hatte Eckersberg die hier verwendete, breitflächig lavierende Pinseltechnik in Kombination mit der Vorzeichnung in Bleistift voll entwickelt, wie zwei auch motivisch verwandte, um 1812 noch in Paris entstandene Blätter im Kopenhagener Kupferstichkabinett zeigen. (Anm.3) Stilistisch vergleichbar ist der Hamburger Zeichnung der jungen Römerin auch eine um 1813 entstandene Pinselstudie der „Alkyone“, die für das Gemälde „Alkyones Traum“ Verwendung fand. (Anm.4) Eine weitere solche Studie, die Eckersbergs Interesse am Leben der römischen Bevölkerung unterstreicht, ist in der kleinen Ölstudie „Ein römischer Bettler“ zu sehen. Es entstand 1815 für Thorvaldsen. (Anm.5) Auch hier konzentrierte sich Eckersberg, neben der charakteristischen Erfassung der dargestellten Person, vor allem auf das kontrastreiche Spiel von Licht und Schatten auf der Wand hinter dem Bettler.
Eckersberg notierte in seinem römischen Tagebuch mehrfach die Bezahlung eines weibliches Models mit Namen Maddalena, auch in der Kurzform des Namens als Nena erwähnt. (Anm.6) Die neuere Literatur vermutet in einem – lange Zeit als Porträt der Anna Maria Magnani, der Lebensgefährtin von Bertel Thorvaldsen, geltenden Bildnis, was jedoch inzwischen mit guten Gründen abgelehnt wird – ein Porträt der Maddalena. (Anm.7) Henrik Bramsen identifizierte jene Maddalena mit jenem Bildnis der „Dame mit Strohhut“ und zeigte, dass die Dargestellte auch für Eckersbergs wohl Ende 1814 in Rom entstandenes Historienbild „Papirius und seine Mutter“ Modell stand. (Anm.8) Der Blick zurück auf die Hamburger Zeichnung zeigt nun eindeutig, dass die hier dargestellte zumindest eine unübersehbare Ähnlichkeit mit der Frau auf dem Gemälde „Papirius und seine Mutter“ hat und wohl vor allem in der Mundpartie auch mit der von Bramsen als Maddalena identifizierten „Dame mit Strohhut“. Eben jener Strohhut verdeckt jedoch einen Großteil des Kopfes und der Frisur, was den physiognomischen Vergleich erschwert. Dennoch scheint die Identifizierung der Frau am Fenster mit Eckersbergs Modell Maddalena (Nena) recht überzeugend. (Anm.9) Die Datierung der Hamburger Zeichnung ließe sich somit auf Oktober 1813 bis Oktober 1815 eingrenzen, da Maddalena in diesen beiden Jahren im Tagebuch des Künstlers erwähnt wird. (Anm.10)

Andreas Stolzenburg

1 Es fällt auf, dass dänische Kunst des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle bisher kaum gesammelt wurde. Besonders in der Sammlung der Zeichnungen des Kupferstichkabinetts finden sich – bis auf wenige Beispiele von Bertel Thorvaldsen (1770-1844), dem Altonaer Ernst Meyer (1797-1861), Johann Bravo (1797-1876) und Constantin Hansen (1804-1880) – trotz der geographischen Nähe kaum Werke dänischer Künstler.
2 Christopher Wilhelm Eckerberg 1783-1853, Ausst.-Kat.Washington, National Gallery of Art 2004, S. 78-79, Nr. 11, Abb., S. 84-85, Nr. 14, Abb.; vgl. Eckersberg i Rom, Ausst.-Kat.Thorvaldsens Museum Kopenhagen 1983.
3 «Mutter und Tochter» und «Frau am Kamin»; Tegninger af C. W. Eckerberg, Ausst.-Kat. Kopenhagen, Statens Museums for Kunst 1983, 171, Nr. 77-78, Abb. Erstere Komposition zeigt gleichfalls eine Szene am Fenster.
4 Stiftung Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig; Ausst.-Kat. Washington 2004, S. 76, Abb.
5 Kopenhagen, Thorvaldsens Museum; Ausst.-Kat. Kopenhagen 1983, S. 93, Nr. 11, Abb.
6 Ausst.-Kat. Kopenhagen 1983, S.12-28.
7 Kopenhagen, Den Hirschsprungske Samling; Ausst.-Kat. Washington 2004, S. 82-83, Nr. 13, Abb.
8 Henrik Bramsen: Damen med Stråhatten, in: Meddelelser fra Thorvaldsens Museum 1970, Kopenhagen 1970, S. 39-47, hier S. 43, Abb. 3. und S. 46. Vgl. zur Gesamtkomposition Henrik Bramsen, Hannemarie Ragn Jensen : Eckersbergs Brevkoncepter 1813-16, in: Meddelelser fra Thorvaldsens Museum 1973, Kopenhagen 1973, S. 41-122, hier S. 51, Abb. 16. Zur Erwähnung einer Zeichnung Eckersbergs zu dem Bild vgl. Ausst.-Kat. Kopenhagen 1983, S. 20, mit Anm. 96, Tagebucheintrag, 3. Oktober 1814 : «tegned en Gruppe med Magdalena og hendes Bruder». Diese zeichnerische Vorarbeit diente als Grundlage für das Gemälde «Papirius und seine Mutter»; der Eintrag nennt für die Zeichnung (und somit auch für das Gemälde) als Modell der Mutter eindeutig Maddalena (Magdalena), die sich mit ihrem jüngeren Bruder zeichnen ließ.
9 In Frage kämen als Modell auch zwei der Töchter von Eckersbergs römischen Wirt Camillo Buti, nämlich die 1797 geborene Elena Buti, die später den – kurz darauf verstorbenen – deutschen Bildhauer Rudolph (Ridolfo) Schadow heiratete oder die 1801 geborene Vittoria Buti, die 1838 den deutschen Bildhauer Julius Troschel heiratete. Erstere war während Eckersbergs Aufenthalt 1813-16 zwischen 16 und 19 Jahre alt, letztere zwischen 12 und 15 Jahre alt.
10 Maddalenas Kopf begegnet schon auf der im Oktober 1813 vollendeten „Alkyone am Strand“, Kopenhagen, Statens Museum for Kunst; Henrik Bramsen: Eckersberg i Rom, in: Meddelelser fra Thorvaldsens Museum 1973, Kopenhagen 1973, S. 7-14, hier S. 13, Abb. 4, vgl. Kommentar auf S. 9.

Details about this work

Pinsel in Braun über Bleistift 320mm x 210mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2009 mit Mitteln der Campe`schen Historischen Kunststiftung Inv. Nr.: 2009-3 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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