Franz Ludwig Catel

Predigt am Dekadi zur Revolutionszeit in einer Pariser Kirche, 1798/1800

Aus einem Brief Franz Ludwig Catels vom Januar 1800 an Friedrich Vieweg geht hervor, dass die Zeichnungen der Feste zum Taschenbuch für 1802 bereits im Jahre 1800 entstanden, jedoch nicht mehr in Paris, sondern
bereits wieder in Berlin, wohin Catel vor dem 30. Januar, dem Datum des Briefes, zurückgekehrt sein muss. Da die Stiche nach seinen Vorlagen jedoch in Paris entstehen sollten, bat er den befreundeten Kupferstecher Joseph Ignaz Huber um seine Vermittlung: »Ich bin stark mit den Festen
beschäftigt. Leider haben noch meine hiesige Einrichtung und das Visiten machen so viel Zeit gestohlen, daß ich jetzt erst wieder recht an die Arbeit komme, ich habe in Rücksicht der in Paris zu stechenden Kupfer beyliegenden Brief Herrn Graveur Huber einem geschickten Kupferstecher dort
geschrieben, der mein sehr guter Freund ist und der Mann ist der diese Commission am besten betreiben kann da er erstens das Fach selbst kennt und zweitens mit allen Pariser Kupferstechern in Verbindung steht. Sie würden mich sehr verbinden wenn Sie die Gefälligkeit hätten und mir hier in
Berlin 20 Carolin auf Abschlag meiner Rechnung anweisen, und zwar wenn es möglich wäre bald weil ich deßen benöthigt bin. / PP. ich bitte den beyliegenden Brief an Herrn Huber zu lesen und an den Stellen wo die Rede vom Preise ist[,] den Sie denen Kupferstechern in Paris für die Platte
geben wollten, denselben in meinen Brief an ihn einzurücken, ich habe Platz dazu gelassen. Ich glaube das ein gescheuter [sic] Kupferstecher nicht unter 10 Carolin eine große Platte stechen kann. Dieß bitte [ich] zu überlegen.
[…].« (Anm.1) Die Umsetzung der Vorlagen in Stiche übernahmen in der Folge dann Jean Baptist Louis Massard, Clemens Kohl, Noël Lemire, Philibert Boutrois, G. Texier, Wilhelm Jury und Hieronymus Hess. Welche hohe Bedeutung diesen kleinen Illustrationen innerhalb der Veröffentlichungen beigemessen wurde, zeigen die oft sehr ausführlichen Beschreibungen und Erläuterungen, die den Kupfern beigegeben wurden oder in ausführlichen
Rezensionen gedruckt wurden. Schon im November 1801 erschien in der Zeitung für die elegante Welt eine Besprechung des Taschenbuchs, in der vor allem die Illustrationen Catels hervorgehoben wurden: »Das Taschenbuch für
1802, das bei Friedrich Vieweg in Braunschweig erschienen ist, behauptet wegen seiner ausgezeichneten Eleganz einen so hohen Rang unter den übrigen vielen Taschenbüchern, womit Monate vorher schon das kommende Jahr begrüßt wird, daß die Z. f. d. eleg. W. darin ihre vollkommene Rechtfertigung findet, wenn sie mit größerer Umständlichkeit, als
gewöhnlich, ihre Stimme darüber abgiebt. Möge der würdige junge Künstler, der zu dieser seltenen Eleganz das Mehreste beigetragen und den gewiß keine Schmeichelei ehrt, darin Ausdruck ungeheuchelter Achtung erkennen. / Um von den Verzierungen dieses Taschenbuchs zuerst zu sprechen, so
hat die Hand der Kunst so viel dafür gethan, daß ohne Zweifel das vorzügliche Interesse auf diesen Theil hinfällt. Eilf von Franz Catel gezeichnete und von Kohl, Jury und einigen französischen Künstlern gestochene Blätter geben eine interessante Reihe von Darstellungen einiger Feste aus verschiedenen
Zeitaltern und von verschiedenen Nazionen, wozu die Idee aus dem bekannten Picart [Anm.: Cérémonies et costumes religieuses de tous le Peuples du Monde. 1745. (8 Tomes in Fol.)], genommen zu seyn scheint. Man muß gestehen, daß für die Begrenzung des Raums fast das Unmögliche geschehen, und von dem talentvollen Künstler in Rücksicht auf schöne Zeichnung, Anordnung und Komposizion Alles und mehr geleistet worden ist, als man unter diesen Umständen erwarten sollte.« (Anm.2) Die gesamte Folge der elf dargestellten Feste ist mit solchen teilweise minutiösen Begleittexten ausgestattet, die hier nicht alle abgedruckt werden können.
Das zehnte Blatt der Folge zeigt beispielsweise eine Feier auf dem Marsfeld zu Ehren Napoleons, der Begleittext lautet: »Das zehnte Blatt zeigt das letzte, auf dem Märzfelde [sic] zu Paris, unter der Regierung des neufränkischen Direktoriums angestellte Nationalfest. Die Bildsäule
der Freiheit erhebt sich auf einem Hügel in der Mitte des Platzes. An ihr Fußgestell lehnen sich die fünf Sessel der Direktoren. Von hier aus hält der Vorsitzer unter ihnen eine Rede an die Versammlung. Am Fusse des Hügels brennt reichlicher Weihrauch auf einem Altar. Der Zug ist in Bewegung. Ihn eröffnen die Munizipalität und die Departements,davon jedem eine Art Standarte vorgetragen wird, welche seine Bestimmung anzeigt. Diesen folgt der Generalstab, die Staatsboten, die Minister, der Generalsekretär, die Direktoren, und endlich die Leibwache des Direktoriums. Alle erwähnten
Staatsbeamten erscheinen in der feierlichen Kleidung ihres Berufs, deren Schnitt und Verhältniß, aus vergangenen Jahrhunderten entlehnt, das Auge der Zeitgenossen wie eine fremde Erscheinung anspricht. Um diese bei
den Ministern und Direktoren der Ansicht deutlich zu machen, mußte der Künstler sich erlauben, die Leibwache im Bilde blos hinterher gehen zu lassen, welche in der Wirklichkeit die genannten Personen so von allen Seiten umgab, daß nur der Zuschauer von oben herab sie erblicken konnte; Zur Linken ist einer der vier Löwen angebracht, welche die Hauptstrasse des Märzfeldes schmücken. Im Hintergrunde verbreitet sich das Volk über die stufenweise erhöhten Sitze.« (Anm.3) Der Stich nach der Zeichnung Catels wurde von Béatrice de Andia 1989 als Einzelblatt zur Klärung der Abläufe dieser Siegesfeier in der französischen Literatur herangezogen,ohne den Künstler, den Zusammenhang des Blattes mit der Folge und das in Deutschland erschienene Taschenbuch mit den Beschreibungen zu kennen. (Anm.4)
Als ein weiteres Beispiel sei die Erläuterung zur Predigt am Dekadi vorgestellt (Inv.-Nr. 2017-15), wo neben den Erklärungen zur Ikonographie auch über die Motivation der vom Künstler gewählten Motive und die Gesamtstruktur der Bildfolge zu lesen ist: »Das eilfte Blatt wünschte der Künstler, wie er bisher gethan, zum Gegensatz der weltlichen Handlung,die auf dem vorhergehenden abgebildet ist, einer geistlichen zu widmen; doch bot ihm das ungeschaffene Frankreich,statt dieser, nur eine kirchliche dar. Hier schildert er daher die neue innere Beschaffenheit einer alten Kirche, am zehnten Wochentage, Dekadi genannt. Zu dessen Bedürfnissen reicht eine kleine Abtheilung des weiten Gebäudes hin. Am Sonntage, wo dort noch im Stillen Messe gelesen wird, würde man eine zahlreichere aufmerksamere Versammlung unter dem jetzt leerstehenden Säulengange, antreffen. Heute sind alle Sinnbilder und Erinnerungen des Christenthums mit dreifarbigen Decken behangen. Die, welche den gekreuzigten Erlöser unter der Kanzel verschleyern soll, hat nicht
anders befestiget werden können, als das seine durchborten Hände und Füße, sein mit einer Dornenkrone verwundetes Haupt, sichtbar geblieben sind. Oft scheint das Vergangene ein Vorbild des Jetzigen. Man weiß, in welcher Gesellschaft der schlecht Verhüllte den Opfertod litt. Nun steht ihm zur Linken die Büste Voltaire’s, die man leicht erkennt; zur Rechten Rousseau, den der Kupferstecher, wie leicht geschieht, etwas jugendlich genommen hat. Auf der Kanzel, über welcher die rothe Mütze waltet, hält ein Munizipalbeamter,so Gott will, eine Rede. Daneben wird die Freiheitsfahne
geschwenkt. Unter der steinernen Freiheitsgöttin, hinter einem mit Blumen bekränzten und von Fahnen beschatteten Altar, überläßt sich die gesammte Munizipalität einem erquickenden Schlaf. Ihrem einladenden Beispiele folgen die alten Brautpaare, welche, um getraut zu werden, die Kirche besuchen mußten; der einzige junge Bräutigam, dem es gelang, der Requisition zu entgehn, spricht mit seiner Verlobten, ohne sich um den Redner zu kümmern. Einige Invaliden hat die Neugier herbeigezogen, einen Sackträger
vielleicht eine Bestellung, oder ein Mahnbrief an den, der auf der Kanzel steht. Der goldne Spruch: ›Draußen sind die Hunde, und die Ehebrecher, und die Uebelthäter.‹ wird auffallend Lügen gestraft; denn sogar der Thürsteher, welcher Ordnung halten soll, gähnt über dem Stabe, der ihn stützt,
und versäumt sein vorzüglichstes Geschäft, den Hund zu entfernen, der hier Ruhe gesucht und gefunden hat. Nur die an einem Pfeiler des Vorgrundes gelehnte Schildwache, welche sich selbst nicht zu erklären weiß, warum die gegenwärtige Tagesordnung in einem Heiligthume des Friedens Soldaten anstellt, bedient sich eines beliebten Hausmittelchens gegen den einzigen Widersacher, den sie hier zu fürchten hat, der sich aber freilich, weder durch das spitze noch durch das stumpfe Ende ihres Gewehrs zurücktreiben läßt.
Unbeachtete Gesetztafeln hängen an den Wänden.« (Anm.5)

Amndreas Stolzenburg

1 Brief Franz Ludwig Catels (Berlin, 30. 1. 1800) an Friedrich Vieweg
in Braunschweig, Universitätsbibliothek Braunschweig, Vieweg-Archive,
Sign. VIC:16. Vgl. Andreas Stolzenburg: Illustrationen zum "Taschenbuch von 1802" mit Darstellungen v0on antiken und zeitgenössischen Festen (Panem et Circensem), in: Franz Ludwoig catel. Italienbilder der Romantik, hrsg. v. Andreas Stolzenburg und HUbertus Gaßner, München 2015, S. 142.
2 Vgl. Zeitung für die elegante Welt 1801, S. 1061–1064; hier werden
ebenfalls alle elf Tafeln kurz beschrieben.
3 Anonym, in: Taschenbuch für 1802, S. 24. Exemplar der Hamburger
Kunsthalle, Bibliothek im Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. kb-2014.1148g
(Abb. 1) erworben vom Antiquariat Bücherwurm, Kiel, aus Mitteln des
Fördervereins »Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts e.V.«
4 Exemplar in Paris, Bibliothèque nationale de France, Inv.-Nr. M.
103359; vgl. De Andia 1989, Abb. S. 109.
5 Anonym, in: Taschenbuch für 1802, S. 26–27.
Abb.

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Feder in Braun und Schwarz, grau laviert; Montierung mit Rahmung (Feder in Rot) 82mm x 120mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2007 mit Mitteln der Campe' schen Historischen Kunststiftung Inv. Nr.: 2007-15 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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