Paul Gauguin, Holzschneider
Louis Roy, Drucker

"TE PO" / Ewige Nacht, 1894 (geschnitten 1893)

Aus der Folge: NOA NOA

Paul Gauguin nimmt eine herausragende Stellung in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts ein. Seine Familie war 1849 nach Peru umgesiedelt, von wo aus er erst 1855 wieder nach Paris kam. Zunächst als Angestellter einer Bank tätig, lernte er 1874 Camille Pissarro kennen und besuchte die Académie Colarossi. Trotz Ausstellungsbeteiligungen arbeitete er noch bis 1883 in seinem Brotberuf. Anschließend folgte ein unstetes Wanderleben, das ihn 1886 in die Bretagne führte, wo er mit Emile Bernard zusammenarbeitete. Im selben Jahr schloss er mit Vincent van Gogh Freundschaft, den er 1888 in Arles besuchte. 1891 bis 1893 hielt Gauguin sich erstmals auf der Südseeinsel Tahiti auf - künstlerisch betrachtet ohne Zweifel das wichtigste biographische Erlebnis mit großen Folgen für sein Werk. Besonders die Hinwendung zur Druckgraphik wurde befördert, der sich Gauguin vorher nur sporadisch gewidmet hatte. 1895 brach Gauguin erneut in sein geliebtes Südseeparadies auf, wo er bis 1901 blieb, um dann mehr als 1000 Kilometer nordöstlich von Tahiti im Pazifischen Ozean auf den Marquesas-Inseln die letzten beiden Jahre seines Lebens zu verbringen.
Gauguin hatte nach der Rückkehr von seiner ersten Reise nach Tahiti im Winter 1893/94 einen umfangreichen Text mit dem Titel „NOA NOA“ verfasst, mit dem er beim Publikum für das Verständnis seiner neuartigen Südseebilder werben wollte. Gauguins Bericht fasziniert noch heute durch seine authentischen Einblicke in die ursprüngliche Lebensweise der Eingeborenen bzw. was von deren Ursprünglichkeit nach den Jahren der Kolonialisierung noch verblieben war. Diese oft sehr privaten Erfahrungen, das Erlebnis der leuchtenden und kontrastreichen Farben sowie der mythischen Götterwelt der Südsee hatten Gauguins Kunst die erträumten neuen Impulse gegeben, obgleich seine Werke nie ihre starken europäischen Wurzeln verneinen konnten. Für Gauguin brach vor allem durch die Liebe zu einer Insulanerin, mit der er fortan Tisch und Bett teilte, eine neue Zeit an; er schrieb darüber: „Nun begann das vollkommen glückliche Leben, gegründet auf die Sicherheit des morgigen Tages, auf gegenseitiges Vertrauen, auf die beiderseitige Gewissheit der Liebe. Ich hatte wieder zu arbeiten begonnen, und das Glück wohnte in meinem Haus: es erhob sich mit der Sonne, strahlend wie sie. Das Gold von Tehuras Antlitz überflutete das Innere der Hütte und die Landschaft ringsum mit Freude und Klarheit. Wie schön war es am Morgen gemeinsam zum Bach zu gehen, um uns zu erfrischen, genauso wie es sicher der erste Mann und die erste Frau im Paradies getan hatten. - Paradies Tahiti, nave nave fenua („Herrliches Land“). - Und die Eva dieses Paradieses teilte sich mir immer williger, immer liebender mit. ich bin von ihrem Duft erfüllt: noanoa!“
Dieser „Wohlgeruch“ der erwachenden Liebe, womit man „NOA NOA“ übersetzen könnte, gab dem Text und den Graphiken ihren Namen. Der Text sollte der Kapiteleinteilung des geplanten Buches entsprechend mit zehn farbigen Holzschnitten illustriert und in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller und Kunstkritiker Charles Morice veröffentlicht werden. Die Publikation kam nicht zustande. Das Manuskript der Künstler ist im Pariser Louvre erhalten, wurde erst postum gedruckt und in zahlreiche Sprachen, auch ins Deutsche, übersetzt. Die Holzstöcke, die von Gauguin zum größten Teil noch auf Tahiti geschnitten worden waren, wurden in einer sehr kleinen Auflage von wohl höchstens 25 Exemplaren im Winter 1893/94 in Paris gedruckt.
1921 veröffentlichte Pola Gauguin, der Sohn des Künstlers, in Paris eine Neuauflage der Folge in 100 Exemplaren, deren Drucke in Schwarzweiß jedoch nichts von dem poetischen Zauber der hier vorliegenden frühen, farbigen, sogenannten Roy-Drucke vermitteln können. Der begabte Drucker Louis Roy hatte die verschiedenen Holzstöcke unter Zuhilfenahme von Schablonen und unter Aufsicht Gauguins 1893/94 aufs Papier gebracht.
Gauguin, der auf Tahiti die mythischen Quellen der Menschheit gesucht hatte, wandte sich intensiv der „primitiven Kunst“ und ihrer starken, archaischen Ausdrucksmöglichkeiten zu. Die Holzschnitte der Folge „NOA NOA“, die lyrische Titel wie „Die Erschaffung des Universums“ (Inv.-Nr. 2003-40), „Bewacht von den Geistern der Toten“, „Der Teufel spricht“ (Inv.-Nr. 2003-41), „Ewige Nacht“ (Inv.-Nr. 2003-42) und „Dankopfer“ (Inv.-Nr. 2003-43) tragen, drücken diese äußerst intensive und liebevolle Begeisterung des Künstlers in poetischer Weise aus. Besonders die Komposition „Der Teufel spricht“ versprüht im wahrsten Sinne des Wortes ein unglaubliches Feuer, das die archaischen Mythen der Insulaner unmittelbar lebendig werden lässt.
Mit den vier neuen Blättern (Inv.-Nr. 2003-40 bis 2003-43) besitzt das Kupferstichkabinett nun die Hälfte der zehnteiligen Folge, da bereits 1993 einer dieser Holzschnitte („Bewacht von den Geistern der Toten“) mit Hilfe der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Kunstsammlungen erworben werden konnte.

Andreas Stolzenburg

Details about this work

Farbholzschnitt 205mm x 355mm (Bild) 245mm x 393mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Erworben 2003 mit Mitteln der Campe'schen Historischen Kunststiftung Inv. Nr.: 2003-42 Collection: KK Druckgraphik, Frankreich, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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