Bernardino Poccetti, eigentlich Bernardo Barbatelli

Schwebender Engel und architektonische Skizzen, um 1590

Die Zeichnung war früher fälschlich Gianlorenzo Bernini (1598– 1680) zugeschrieben, wohl vor allem deshalb, weil die Haltung des Engels an dessen berühmte Tabernakelfiguren in St. Peter in Rom erinnert. Es handelt sich aber lediglich um eine interessante motivische Vorwegnahme, da die Zeichnung völlig überzeugend mit dem vorwiegend in Florenz tätigen Maler, Freskanten und sehr produktiven Zeichner Bernardino Poccetti in Verbindung gebracht werden kann. In diesem Sinne unterstützen auch Miles Chappell (Anm. 1), Heiko Damm (Anm. 2) und Roberto Contini (Anm. 3) die Einschätzung des Blattes. Auf Poccettis Autorschaft verweisen nicht nur eine alte Inschrift auf dem Verso, sondern auch die elegante und sichere Figurendarstellung. Chappell wies auf Ähnlichkeiten der Hauptfigur des Hamburger Blattes mit einem knienden Engel auf der Studie „Die Madonna erscheint dem Heiligen Filippo Neri“ in Amsterdam hin.(Anm. 4) Heiko Damm, Florenz, gelang die genaue Zuordnung der Studie zu einem Fresko Poccettis in der Cappella Carnasecchi in S. Maria Maggiore in Florenz.(Anm. 5)
Trotz dieser Bestimmung weist das Blatt einige für Poccetti ungewöhnliche Charakteristika auf. Zum einen finden sich auf seinen Blättern sehr selten architektonisch herausgelöste Details – wie die Kuppel der nicht näher bestimmbaren Kirche.(Anm. 6) Zum anderen hat der Künstler selten Aktfiguren – wie auf dem Verso – gezeichnet; letztlich ist die Verwendung von schwarzer und roter Kreide für Poccetti ungewöhnlich.(Anm. 7)

David Klemm

1 Mitteilung per E-Mail auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 21. 6. 2007.
2 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 25. 3. 2008.
3 Mündliche Mitteilung auf der Grundlage einer Digitalphotographie, 24. 4. 2008.
4 Amsterdam, Rijksmuseum, Rijksprentenkabinett, Inv.-Nr. 1961; Frerichs 1973, S. 36, Nr. 106. Der Amsterdamer Engel ist leicht mit der Feder skizziert und weist kleinere Unterschiede, z. B. in der Armhaltung auf. Die Hamburger Studie könnte demnach eine sorgfältige Ausarbeitung in Rötel darstellen. Mitteilung per E-Mail, 21. 6. 2007.
5 Mitteilung per E-Mail, 5. 5. 2008.
6 Die wiederholt vermutete Beziehung zur Florentiner Domkuppel ist nur scheinbar gegeben, da deren einzigartige Wölbung hier nicht exakt wiedergegeben ist.
7 Auf diese Vorbehalte wies Sabine Hoffmann, Rom, hin.

Details about this work

Rötel 298mm x 258mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 2000-113 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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