Otto Dix

"Der Krieg" Triptychon, 1930

Im Jahre 1914 meldete sich Otto Dix als Freiwilliger zur Feldartillerie und nahm als Maschinengewehrschütze am Ersten Weltkrieg in Polen und Russland teil. Seine schrecklichen Kriegserlebnisse an der Front verdichtete und verarbeitete er noch 1929 bis 1932 in dem altmeisterlich gemalten Triptychon Der Krieg (Galerie Neue Meister, Dresden), zu dem der von der ausgeführten Fassung motivisch abweichende Hamburger Karton den Entwurf bildet. Dix wählte mit gutem Grund die christlich geprägte Form des sakralen Altartriptychons, um die Leidensgeschichte der Menschen im Krieg darzustellen. Auf dem linken Flügel ziehen die Soldaten in Reih und Glied an die Front, eine Szene, die der Kreuztragung Christi zu gleichen scheint. Auf der großen Mitteltafel wird das Inferno der Schlacht, in der fast alle den Tod finden – er schwebt als allegorische Figur am Himmel –, bildreich in Szene gesetzt. Der rechte Flügel gibt eine an die christliche Pietà erinnernde Darstellung der Nächstenliebe wieder: Ein Soldat birgt einen schwer verletzten Kameraden nach dem verheerenden Angriff. Dix konnte das Erlebte nicht vergessen, und er wollte es auch nicht vergessen, um mit seiner Bilderfindung an die Grausamkeit des Krieges zu erinnern.

Andreas Stolzenburg


In 1914 Otto Dix reported to the German field artillery as a volunteer and took part in World War I as a machine gunner in Poland and Russia. From 1929 to 1932 he was still consolidating and processing his terrible wartime experiences at the front. Though some of the motifs differ from the final version, this cartoon is a sketch for his major triptych painted in the style of the old masters: Der Krieg (The War), in the Galerie Neue Meister in Dresden. Dix turned to the sacred Christian altarpiece format for good reason: to depict the story of human suffering in war. On the left wing, the soldiers march to the Front in formation – a scene that clearly echoes Christ bearing the Cross. The main panel depicts in rich imagery the inferno of battle, in which nearly everyone finds Death – who floats in the sky as an allegorical figure. The right wing, with its strong evocation of the Christian Pietà motif, projects brotherly love as a soldier recues a severely wounded comrade after the devastating attack. Dix could not forget what he had experienced in war, and he did not wish to. Rather, he used his pictorial invention to remind us of its horrors.

Andreas Stolzenburg


1914 wurde Dix als Freiwilliger zur Feldartillerie eingezogen. Er erhielt eine Ausbildung am schweren Maschinengewehr und wurde danach MG-Schütze und Zugführer in Frankreich, Polen und Russland. „Ich bin so ein Realist, dass ich alles mit eigenen Augen sehen muss, um zu bestätigen, dass es so ist. Und deshalb habe ich mich freiwillig gemeldet!“ Dix wählte für seine Darstellung vom Kriegsgeschehen die Form des Triptychons: dies bietet über den sakralen Bezug hinaus die Möglichkeit, gedanklich umfassende Themen darzustellen. So lässt hier der Weg der Soldaten zur Front Assoziationen an die Kreuztragung Christi aufkommen. Die Kolonnen marschieren auf der Anhöhe an einer Reihe von Telegraphenmasten vorbei. Das Bild der auf der Richtstätte Golgatha aufgestellten Kreuze klingt an. Jeder Soldat trägt sein eigenes ‚Kreuz’, die Waffe, die den anderen den Tod bringt, aber auch ihn selbst tötet. Im Mittelteil lässt der zerfetzte Leichnam zwischen den Eisenträgern an einen hingerichteten Schächer in Kreuzigungsszenen denken. Mit dem skelettierten Wesen zwischen Himmel und Erde kann auch der Tod als Künder der Apokalypse gemeint sein. Doch der vorausgesagte Weltuntergang trägt bei Dix sehr realistische Züge: Der todbringende Täter ist selbst Opfer geworden. In der Predella ist der Leichnam bildparallel gelagert, ein in der Kunstgeschichte bekanntes Motiv des toten Christus. Der seinen Kameraden bergende Soldat, der sogar die Gesichtszüge von Dix trägt, erinnert an Darstellungen Marias oder Gottvaters mit dem gestorbenen Sohn und bringt einen Funken Menschlichkeit in dieses Grauen. Dix ist in diesen Bildern zum Krieg auf der Suche nach seinem inneren Frieden. Er bannte seine Erlebnisse in einer gnadenlosen Schilderung der Realität, die ihm bei der Arbeit wie eine Wiederholung der Ereignisse vorkommen muss. Aber die bewegten Bilder traumatischer Phantasie erstarren dabei. Zeichnend und malend gewann Dix Distanz. Doch die Erinnerung und das Nicht Vergessen hielt er für seine gesellschaftliche Verpflichtung: Er wollte die Tafeln mitten im großstädtischen Treiben aufstellen, jedoch konnte das vollendete Bild nur einmal, 1932, also bevor die Nazis die Macht ergriffen, öffentlich gezeigt werden. Danach galt der Karton jahrzehntelang als verschollen.

Hans Werner Schmidt

Details about this work

Kohle, weiße und farbige Kreide, Deckweiß, Bleistift auf grauem Karton, kaschiert auf Leinwand und auf Keilrahmen gespannt 222.5cm x 212.5cm (Rahmen) 222cm x 112cm (Rahmen) 222cm x 112cm (Rahmen) 73.5cm x 222cm (Rahmen) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett. Dauerleihgabe der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen Inv. Nr.: 1978-60a-d Collection: KK Zeichnungen, 20.-21. Jh. © SHK/Hamburger Kunsthalle / bpk © VG Bild-Kunst, Bonn Foto: Elke Walford

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