Caspar David Friedrich

Blick auf Arkona bei aufgehender Sonne, um 1802

Nachdem Friedrich im Juli 1802 nach Dresden zurückgekehrt war, begann in seinem Werk eine Phase, in der Rügenansichten eine wesentliche Rolle spielen, und die zu seiner wichtigsten Einnahmequelle werden. Sie wurden als Sepien ausgeführt, meist als Folgen und auf Bestellung; Graf Wilhelm Malte von Putbus erwarb sechs, Ludwig Theobul Kosegarten und die Prinzessin Marianne von Preußen jeweils vier Rügen-Sepien, die jedoch alle verschollen sind.
Hauptmotive dieser Sepien, die Friedrich 1805 die erste Anerkennung durch Goethe einbrachten, waren Stubbenkammer und Kap Arkona im Norden der Insel. Die genaue Lokalisierung der Ansicht auf dem Hamburger Blatt wird Otto Schmitt verdankt, der die Ansicht als „ziemlich genau von Süden her aufgenommen [bestimmte], wohl vom Strand in der Nähe der Ortschaft Vitt, die aber selbst nicht sichtbar wird, da sie etwas landeinwärts, in einer durch die Hügel des Vordergrundes verdeckten Schlucht liegt.“ (Anm. 1)
Friedrich hat den Blick auf Arkona in verschiedenen Fassungen ausgeführt, die sich in der Ausführung und Durcharbeitung sowie ihrem poetischen Gehalt bis auf ein Blatt mit Schiffbrüchigen (Anm. 2) weitgehend gleichen. Alle Versionen gehen auf eine am 22. Juni 1801 während seiner Rügenreise entstandene Naturstudie zurück (Anm. 3), die zum „Großen Rügener Skizzenbuch“ gehört. Drei dieser Fassungen erwähnt Carl Schildener 1828 im Besitz des „Hofgerichts-Assessor Quistorp“ – gemeint ist der spätere Geheime Justizrat Friedrich Quistorp, ein Neffe von Friedrichs Zeichenlehrer Johann Gottfried Quistorp – „drei ungemein geistvolle Ansichten von der Insel Rügen in Sepia, aus des Künstlers früherer Zeit und darum besonders interessant, weil er späterhin die Sepiazeichnung ganz aufgegeben hat.“ (Anm. 4)
Diese drei Sepien im Besitz Quistorps lassen sich als drei Ansichten von Arkona identifizieren - neben dem Hamburger Blatt ein weiteres in Privatbesitz (Anm. 5) und ein heute verschollenes Blatt. (Anm. 6) Das Hamburger und das Blatt in Privatbesitz stehen der Naturstudie am nächsten, auf dem Hamburger Blatt sind die auf der Naturstudie nur im Umriss angegebenen Felsen exakt übernommen, einzig das Fass hat Friedrich weggelassen. Nur drei kleine Staffagefiguren – ein ländlich gekleidetes Elternpaar mit einem Kind – hat Friedrich ergänzt, sie sind ganz auf die Betrachtung des Naturschauspiels konzentriert. In unmittelbarem Zusammenhang mit der Entstehung des Hamburger Blattes dürfte das Verso einer Zeichnung in Bremen stehen, die die linke Hälfte der Komposition zeigt. (Anm. 7) Auf ihr erscheint ganz rechts am Rand angeschnitten die Figur der Frau, das Kind dahinter fehlt allerdings. Börsch-Supan hat aufgrund dieser Beobachtung vermutet, dass es sich bei dem Verso auf dem Bremer Blatt um das Fragment einer „verworfenen ersten Anlage“ des Hamburger Blattes handelt (Anm. 8), und die andere Hälfte auf dem Verso des heute verschollenen Blatt „Böhmische Landschaft mit Kruzifix“ vermutet, auf dem sich eine halbierte Vorzeichnung zur Arkonaansicht befand.(Anm. 9) Zwar lässt sich diese Vermutung heute nicht mehr bestätigen, doch ist sie wahrscheinlich.
Auch das erwähnte Blatt in Privatbesitz entspricht weitgehend der Naturstudie, auf ihm fehlen allerdings Staffagefiguren, und Friedrich hat am rechten Rand ein Fischernetz ergänzt wie auch den steinigen Vordergrund lebhafter, weniger kleinteilig gestaltet. Allerdings lässt sich aus diesen Unterschieden kaum eine zeitliche Abfolge herauslesen, dementsprechend datiert Grummt auch alle Arkona-Ansichten um 1803.
Neben den drei erwähnten Sepia-Ansichten gab es noch ein weiteres, heute ebenfalls verschollenes Blatt (Anm. 10), das Carl Friedrich Thiele als Vorlage für seine 1821 entstandene Aquatinta diente. Eine weitere Version entstand um 1806, die Benedikt Piringer ebenfalls für eine Aquatinta als Vorlage diente.(Anm. 11) Sie alle stellen die Küste bei Arkona zu unterschiedlichen Tageszeiten dar (Anm. 12), sie haben aufgrund des großen Formats und der sorgfältigen malerischen Ausführung bildhaften Charakter und im Frühwerk Friedrichs einen wichtigen Stellenwert in Bezug auf seine Entwicklung zum Maler.
Das Motiv des Kahns mit den ihn umgebenden Steinen hat Friedrich Ende der 30er Jahre noch einmal isoliert (Anm. 13) und in eine Sepia übertragen. (Anm. 14)
Umstritten ist in der Forschung, welche Tageszeit Friedrich auf dem Hamburger Blatt dargestellt hat, unabhängig davon, dass an dem Ort weder ein Sonnenuntergang noch –aufgang oder der Mond in der gezeigten Weise nicht sichtbar ist. Die frühesten Erwähnungen – 1868 anonym und 1878 von Theodor Pyl – sahen auf dem Blatt einen Sonnenuntergang dargestellt, während Otto Schmitt rechts den „Mondschein in streifigen Licht durch die Wolken“ brechen sah (Anm. 15), doch hat Börsch-Supan zu Recht darauf hingewiesen, dass für die Darstellung des Mondes die Schlagschatten zu kräftig sind. Er hält einen Sonnenaufgang für wahrscheinlicher, die aufgehende Sonne würde den Wanderern als „eine Verheißung der Auferstehung und des Jüngsten Tages“ erscheinen.(Anm. 16) Auch wenn Börsch-Supans Deutung des Blattes zu einseitig religiös motiviert ist, besteht heute Einigkeit darüber, dass ein Sonnenaufgang dargestellt ist, doch lässt sich die Frage nicht mit letzter Sicherheit klären.

Peter Prange

1 Schmitt 1936, S. 422-423.
2 Vgl. Anm. 5.
3 Arkona, Bleistift, Feder in Dunkelbraun, Pinsel in Grau, quadriert, 236 x 366 mm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 1974-509, vgl. Grummt 2011, S. 304-306, Nr. 304, Abb.
4 Schildener 1828, S. 40.
5 Blick auf Arkona, Bleistift, Pinsel in Braun, 413 x 690 mm, Privatbesitz, vgl. Grummt 2011, S. 371-372, Nr. 373, Abb.
6 Blick auf Arkona, Pinsel in Braun, Maße und Standort unbekannt, vgl. Grummt 2011, S. 373-374, Nr. 376, Abb.
7 Baumstudien, verso: Arkona, Bleistift, 358 x 257 mm, Kunsthalle Bremen, Inv. Nr. 1958/594, vgl. Grummt 2011, S. 567-570, Nr. 593, Abb.
8 Vgl. dazu Börsch-Supan 1973, S. 273, Nr. 97.
9 Vgl. Caspar David Friedrich. Der Graphiker. Handzeichnungen und Radierungen, mit einem Vorwort von Kurt Karl Eberlein, Ausst.-Kat. Kunstausstellung Kühl, Dresden 1928, Nr. 90. Vgl. auch Grummt 2011, S. 493-494, Nr. 527, ohne Abb.
10 Blick auf Arkona, Pinsel in Braun, Maße und Standort unbekannt, vgl. Grummt 2011, S. 372, Nr. 374, Abb.
11 Blick auf Arkona, Bleistift, Pinsel in Braun, 609 x 1000 mm, Wien, Albertina, Inv. Nr. 17298, vgl. Grummt 2011, S. 408, Nr. 420, Abb. In dem Zusammenhang bildet Börsch-Supan 1973, S. 285, Nr. 129, eine weitere, ebenfalls verschollene Sepia mit Arkona ab, nicht bei Grummt 2011.
12 Ob damit ähnlich wie bei Runge eine Art Tageszeitenzyklus intendiert war, müsste genauer untersucht werden. Sumowski 1970, S. 149, weist auf Kosegartens hymnische Schilderungen des Rugard in verschiedenen Stimmungen hin, etwa bei Sturm oder im Schnee.
13 Küste mit Sonnenuntergang/Mondaufgang, Bleistift, 253 x 434 mm, Kunstmuseum Basel, Inv. Nr. 1932-199, vgl. Grummt 2011, S. 898-899, Nr. 992, Abb.
14 Boot am Strand bei Mondschein, Bleistift, Pinsel in Braun, 244 x 416 mm, St. Petersburg, Staatliche Eremitage, Inv. Nr. 43910, vgl. Grummt 2011, S. 901-902, Nr. 996, Abb.
15 Schmitt 1936, S. 432.
16 Börsch-Supan 1973, S. 273.

Details about this work

Bleistift, Pinsel in Rot-Braun 664mm x 990mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1968-107 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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