Stefano della Bella

Studie des sogenannten Borghese Curtius

Laut Pirro Ligorio wurden um die Mitte des 16. Jahrhunderts im Valle di Tempe nahe der Villa Hadriana Fragmente von antiken Pferdeskulpturen gefunden, von denen eines ein stürzendes Tier zeigt.(Anm. 1) Dieses Werk gelangte in den Besitz von Marcantonio Paloso und wurde Teil der berühmten Antikensammlung der Familie Borghese. Wohl im Auftrag des Scipio Borghese fügte Pietro Bernini (1562–1629), der Vater von Gianlorenzo Bernini, die Figur des Marcus Curtius hinzu. Dieser galt als vorbildlicher Patriot, da er sich laut Titus Livius 362 v. Chr. mit seinem Pferd auf dem Forum Romanum in einen sich vor ihm öffnenden Abgrund gestürzt und auf diese Weise Rom gerettet hatte.(Anm. 2) Offensichtlich wurde das fallende Pferd also als Teil einer antiken Marcus Curtius-Gruppe interpretiert.
Das auf diese Weise ergänzte Werk wurde von der Familie Borghese in die südliche Außenwand ihrer Villa in Rom eingesetzt. Nach einer Restaurierung durch Agostino Penna 1766 wurde das Vollrelief unter Marcantonio IV. Borghese über dem Türsturz des Salone angebracht, wo es sich noch heute befindet.
Trotz des prominenten Aufbewahrungsorts und der eindrucksvollen plastischen Lösung ist der „Borghese Curtius“ (Anm. 3) nur selten gezeichnet worden. Vor diesem Hintergrund kommt della Bellas Studie der Gruppe große Bedeutung zu, stellt sie doch ohne Frage die früheste und genaueste Wiedergabe des Werks dar.
Vergleicht man seine Aufnahme mit dem heutigen Zustand des Reliefs, so erstaunt die weitgehende Übereinstimmung. Vor allem das Pferd entspricht bis in Details dem Vorbild. Lediglich kleine Unterschiede, wie der etwas weiter vom Bauch des Tieres entfernte linke Vorderhuf, sind erkennbar. Zudem deutet della Bella ein vom Rücken des Pferdes zum Maul gehendes Zaumzeug an. Etwas stärkere Unterschiede sind beim Reiter zu erkennen. Die Spitze eines Degens, den der Römer in seiner Rechten hielt, ist wohl verloren gegangen. Der Helm mit dem Federschmuck, das Tuch in Höhe der linken Wade und Teile der Kleidung des Helden sind anders dargestellt als es der heutige Zustand des Reliefs zeigt. Es ist schwer zu entscheiden, ob dies auf die Restaurierung zurückzuführen ist, oder ob della Bella hier kleine Veränderungen vorgenommen hat. In jedem Fall hat er – wie bei manch anderen Kopien auch – die Skulptur durch diese Eingriffe wie auch durch die Art seiner vibrierenden Schraffentechnik belebt. Da della Bella das komplizierte Werk in Augenhöhe ohne jede Verzerrung wiedergibt, muss er zum Zeichnen einen Standpunkt etwas oberhalb des Bodens eingenommen haben. Die Entstehung der Zeichnung ist in den mittleren 1630er Jahren anzusetzen, als della Bella wohl die Mehrzahl seiner Antikenstudien in Rom ausführte.
Vor dem Hintergrund dieser Zeichnung erscheint die Geschichte des interessanten Kunstwerks in neuem Licht. Deutlich wird nun, dass bei der Restaurierung von 1776 kaum nennenswerte Eingriffe bzw. Veränderungen vorgenommen wurden. Die überlieferte Ergänzung von Beinen und Schweif ist nahezu originalgetreu, bzw. dem von della Bella dokumentierten Zustand gemäß ausgeführt worden.

David Klemm

1 Zur Gruppe vgl. I Marmi Antichi della Galleria Borghese. La collezione archeologica di Camillo e Francesco Borghese, bearb. v. Paolo Moreno, Antonietta Viacava, Guida – Catalogo, Rom 2003, S. 119–122 mit Literatur und Abb., die fast genau die Position von della Bellas Wiedergabe zeigt; Francis Haskell, Nicholas Penny: Taste and the Antique. The Lure of Classical Sculpture 1500-1900, New Haven und London 1981, S. 191–193, Nr. 27.
2 Vgl. Hans-Ulrich Kessler: Pietro Bernini (1562-1629). Römische Studien der Bibliotheca Hertziana, Bd. 16, München 2005, S. 335–337, A 29.
3 Vielleicht wurde della Bella durch die Beschäftigung mit dem „Borghese Curtius“ zu einer seiner fulminantesten Zeichnungen angeregt. Vgl. Florenz, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi, Inv.-Nr. 6037 S. Della Bella zeigt ein sich aufbäumendes Pferd mit Reiter in extremer Untersicht, so dass der Eindruck entsteht, dass der Zeichner das Motiv aus einer Grube heraus aufgenommen hätte. Diese Studie überbietet selbst die im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle bewahrte Curtius-Darstellung Luca Cambiasos, die bereits eine starke Untersicht zeigt, deutlich. Vgl. Bd. I, Nr. 85.

Details about this work

Feder in Braun über schwarzem Stift 120mm x 168mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1967-219 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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