Giovanni Paolo Gaspari, zugeschrieben
Phantasiearchitektur
Verso: Kompositionsentwurf mit Architektur und Booten und Menschen
Die Zeichnung mit einem vielteiligen Architekturcapriccio gelangte als Werk Gianlorenzo Berninis (1598–1680) in die Sammlung. Dieser völlig unbegründeten Zuordnung widersprach zunächst Christel Thiem per Kartonnotiz, die eine Entstehung im 18. Jahrhundert vermutete. Andrea Czére zog 2005 eine Herkunft aus dem Bibiena-Umkreis in Erwägung.(Anm. 1)
Letztere Ansicht ist insofern zutreffend, als sich das Werk sehr eng mit dem sicher von den Bibiena beeinflussten italienischen Maler, Stecher und Bühnenbildner Pietro Gaspari verbinden lässt. Dieser war nach einer Lehre an der Akademie in Venedig bei der Familie Canal und anschließend längere Zeit in Deutschland, u. a. in München und Köln, tätig. Vor allem in Bayreuth dürfte er mit den Bibiena und ihren anspruchsvollen Theaterentwürfen in Kontakt gekommen sein.(Anm. 2)
Die Hamburger Zeichnung stellt die seitenverkehrte Vorzeichnung zu einer 1771 von Gaspari publizierten Radierung dar.(Anm. 3)
Diese Radierung bildete das 10. Blatt der vierzehnteiligen Serie „Tabulae aere cusae, quae veterum quae recentiorum aedificandi rationem (…) exibentes“, die Karl Theodor von der Pfalz gewidmet war. Die Übereinstimmung der Zeichnung mit der ausgeführten Graphik ist bis in kleine Details sehr groß. Die Strichführung ist sehr sorgfältig und weist nur minimale Pentimenti auf. All dies lässt die Einordnung des Blattes als finale Vorzeichnung zu. Allerdings finden sich nur ansatzweise Übertragungsspuren in Form von durchgedrückten Linien, sodass für die Druckherstellung noch eine weitere Zeichnung angefertigt worden sein muss.
Problematisch ist, dass Gaspari zugeschriebene Zeichnungen in München aufgrund der dort verwendeten Lavierung viel malerischer wirken.(Anm. 4) Allerdings könnten die Unterschiede auch mit der Funktion des Hamburger Blattes als direkte Vorzeichnung zu einem Stich zusammenhängen.
Die 1771 herausgegebene Serie zeigt neben Foren, Häfen und Ruinen auch Denkmäler, Brücken und Götterstatuen. Von bemerkenswerter Vielfalt sind die verwendeten Stilformen, wobei römische Architekturelemente dominieren. Zudem lassen sich Einflüsse und Anregungen aus Griechenland, Ägypten, aus Assyrien sowie aus Etrurien ausmachen. Charakteristisch für die zur Hamburger Zeichnung in Beziehung stehende Radierung ist, dass neben einer „klassisch“ beeinflussten Platzanlage und Bogenarchitektur auch gotische Formenelemente Bedeutung erlangen. Dies gilt vor allem für die große Kirche im Hintergrund, die in Teilen an den Mailänder Dom erinnert. In dieser Hinsicht stellt das Blatt ein interessantes, weil frühes Beispiel für die Beschäftigung mit der Gotik in Italien dar.
Gaspari steht in einer längeren Tradition italienischer Architekturzeichner, von denen vor allem die bereits erwähnten Bibiena sowie Bernardo Bellotto genannt seien. Von Einfluss waren zudem sicherlich Giovanni Battista Piranesi und Marco Ricci.
Laut Beschriftung der Radierungen war Giuseppe (Josef) Lante als Figurenmaler an der Serie beteiligt, sodass nicht auszuschließen ist, dass die Figuren auf der Hamburger Zeichnung von diesem ausgeführt worden sind.
David Klemm
1 Anlässlich des Symposiums „Italienische Altmeisterzeichnungen 1450 bis 1800“ am 27. und 28. 10. 2005 im Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle.
2 Gaspari ging später wieder nach Venedig. Er war weniger Bühnenbildner als vielmehr Stecher und Professor für Architektur und Prospektmalerei an der Akademie, deren Mitglied er seit 1772 war. Zu Gaspari vgl. Rainer Michael Mason: Pietro Gaspari 1720–1785 (?), in Ausst.-Kat. Genf 1991, S. 116–121.
3 „Tempio e piazza sul gusto dei barbari“; Radierung, 310 x 422 mm, Padua Privatsammlung; vgl. Capricci veneziani del Settecento, hrsg. v. Dario Succi, Ausst.-Kat. Turin, Castello di Gorizia, Turin 1988, S. 509.
4 Das ebenfalls seitenverkehrte Münchener Blatt für eine Szene mit Ruinenfragmenten und großer Tempelanlage ist viel stärker mit Tusche akzentuiert. Vgl. München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 31762. Auch andere Zeichnungen in München – wie Inv.-Nr. 31754 – sind immer mit Feder und Lavierung gestaltet. Diese Unterschiede sind auffallend und allenfalls dadurch zu erklären, dass es sich bei den Blättern um unterschiedliche Stadien der Vorbereitung handelt.