Wilhelm Leibl
Bildnis des Apothekers Rieder, 1900
Nachdem Leibl 1892 zusammen mit Johann Sperl den Oberwalchhof in Kutterling bei Rosenheim gemietet hatte, wo er seitdem die meiste Zeit verbrachte, erreichte seine Porträtkunst noch einmal einen neuen, letzten Höhepunkt. Leibl malte nun die Bürger des Dorfes und der Umgebung: den Tierarzt Reindl, seinen späteren Biographen Julius Mayr und dessen Frau Auguste, den Jäger Karebacher und 1893 die Frau des Rosenheimer Apothekers Max Rieder (Leipzig, Museum der bildenden Künste), den er noch in Bad Aibling kennengelernt hatte.
Ein Porträt des Apothekers Rieder entstand erst im letzten Lebensjahr Leibls, als er von Arteriosklerose und Herzinsuffizienz schon schwer gezeichnet war und sich sein Gesundheitszustand zusehends verschlechterte. Im Frühjahr 1900 hatte Leibl nach einer Bronchitis noch Linderung in Bad Nauheim gesucht, nach seiner Rückkehr Ende Juni dürfte das Bildnis Max Rieders entstanden sein.
Leibl legt seine ganze Konzentration auf die Herausarbeitung des kantigen Gesichts, während der Oberkörper, das Sitzmotiv und der räumliche Bezug in den Wischungen verschwimmen. Sein Interesse gilt nicht der linear umgrenzten Gestalt, sondern ihrer Erscheinung im Licht. Dafür nutzt Leibl die Möglichkeiten der Kohle mit ihren je nach Auftrag verschiedenen Schwärzegraden zu einem vehementen Geflecht von neben- und gegeneinander gesetzten Strichfolgen. Die spannungsvollen Schraffuren folgen dabei nicht runden Körperformen, sie werden fast ausschließlich im Licht kantig herausmodelliert.
Peter Prange