Wilhelm Leibl
Schilfbewachsenes Seeufer, um 1895/96
Bereits 1873 hatte Leibl die Großstadt München verlassen und sich zunächst in die Umgebung von Dachau, dann an den Ammersee und zuletzt in das bayerische Voralpenland bei Rosenheim zurückgezogen. Obwohl er die Schönheit der oberbayerischen Landschaft bewunderte, war die Landschaft für ihn eigentlich nie ein richtiges Thema. Unter den etwa 250 Gemälden Leibls befindet sich nur eine Landschaft.
Auch Landschaftszeichnungen sind im Werk Leibls sehr selten, weshalb unser Blatt besondere Aufmerksamkeit beansprucht. Offenbar an einem oberbayerischen See entstanden, zeigt es das einfache Motiv eines baumbestandenen Ufers über einer dichten Schilfzone im Vordergrund. Am Horizont der weiträumig angelegten Ansicht ist noch die Silhouette eines Dorfes erkennbar. Leibl, der Maler feinster farblicher Tonwerte, fasste auch die Zeichnung besonders in seiner Spätzeit malerisch auf. In dem von ihm bevorzugten Zeichenmaterial Kreide erprobte er die Gegensätze von Hell und Dunkel, von weich und hart. Besonders das Schilf im Vordergrund ist in feinen, kurzen Strichen und Wischungen, die eine sichere Nuancierung der Tonwerte ergeben, charakterisiert.
Peter Prange