Franz und Johannes Riepenhausen, Mitarbeit, Zeichner

Der Abschied des jungen Raffael von seiner Mutter, 1816

Im Jahr 1816 erschien die von den Brüdern Riepenhausen seit etwa 1805 ausgeführte Folge von gezeichneten Darstellungen aus dem Leben Raffaels endlich im Kupferstich (Inv-Nr. kb-1863-85-304-1 bis -13). Im selben Jahr ist die hier zu sehende Abschiedsszene mit „Riepenhausen 1816“ signiert und datiert. Der Anteil von Franz oder Johannes Riepenhausen an dem Blatt lässt sich wie bei den frühen Zeichnungen kaum unterscheiden und muss auch hier offen bleiben. Der Gedanke des gemeinsam geschaffenen Kunstwerks spielte im künstlerischen Selbstverständnis der Brüder eine große Rolle.
Vergleicht man den Kupferstich in der Ausgabe von 1816 (Inv-Nr. kb-1863-85-304-5) in seiner Komposition mit der Hamburger Zeichnung, fällt sehr schnell auf, dass diese bereits viel mehr mit Johannes Riepenhausens radierter Darstellung von 1833 gemeinsam hat (Inv.-Nr. kb-1863-85-304-4). (Anm. 1) Der auf dem Kupferstich von 1816, dessen mittelalterlich anmutendes räumliches Arrangement seitenverkehrt gegenüber der vorliegenden Zeichnung aufgebaut ist, eher altdeutsch gekleidete Vater Giovanni Santi, hält zwar ebenfalls den Knaben Raffael an der Hand und fordert zum Gehen auf, doch die sitzende Mutter scheint ihn viel inniger und fester an sich zu ziehen und Raffael schmiegt sich förmlich an sie an. Auf der Zeichnung ist die Szene des Abschieds weniger von Trauer, als von Tatendrang bestimmt, wie man der Schrittstellung des Knaben entnehmen kann. Der Kupferstich von 1816 zeigt links im Hintergrund zudem zwei weinende Frauen aus dem Haushalt der Eltern, die auf der Zeichnung nicht mehr vorkommen, stattdessen sieht man dort einen jungen Diener bzw. einen weiteren Schüler des Vaters, der bereits das Gepäck Raffaels zur Tür hinaus trägt. Dies verstärkt den Eindruck des Aufbruchs. Auf der Zeichnung befindet sich im Hintergrund eine, im Gegensatz zu den früheren Rundbögen, an Renaissancearchitektur gemahnendes Fenster mit einem Landschaftsausblick mit Baum in der Ferne. Rechts auf einer hinter der sitzenden Mutter stehenden Staffelei befindet sich ein kleines Gemälde Giovanni Santis, darstellend die Drei Frauen am Grabe. Der Tisch an dem die Mutter sitzt, ist exakt der gleiche, den Johannes Riepenhausen noch 1833 auf seiner Radierung zeigt; jeweils liegen dort ein Buch und ein Rosenkranz. Auf der späteren Radierung erscheint rechts wieder eine Frau, die diesmal für den Jungen betet und links vorn springt bildparallel ein Hund heran. Ein Detail, der sowohl auf dem Kupferstich von 1816, wie auch auf der gleichzeitigen Zeichnung auf den Ausgang weisende ausgestreckte Finger des Vaters am Wanderstab, wird von Johannes Riepenhausen erst bei der Radierung von 1833 aufgegeben. Hier wirkt der Habitus des Vaters dementsprechend weniger auf den Abschied drängend.
Insgesamt erscheint die Hamburger Zeichnung in der Tat auf halbem Weg von der oft noch allegorischen Spiritualität der frühen Darstellungen, hin zu einer objektiveren, verbürgerlichten Wiedergabe der Szene. Sie ist auf keinen Fall eine Studie zu den frühen Kupferstichen – deren Vorlagenzeichnungen waren längst vollendet – und es handelt sich auch nicht um eine frühe Studie zur zweiten Folge – die Entscheidung, diese anzufertigen, kam Johannes sicher erst nach dem Tod des Bruders Franz und durch die bevorstehende Graböffnung im Pantheon in den Sinn –, sondern die voll ausgeführte, signierte und datierte Federzeichnung ist ein den Stich variierendes Sammlerstück, dessen Auftraggeber bzw. ersten Besitzer wir leider nicht kennen.
Andreas Stolzenburg

LIT (Auswahl): Kuhlmann-Hodick 1993, S. 85, Nr. 411c; Börsch-Supan 1994, S.
225; Ausst.-Kat. Stendal 2001, S. 166–167, bei Nr. V.2; Ausst.-Kat. Hamburg
2003, S. 60–61, Nr. 25 (Beitrag Andreas Stolzenburg); Grave 2006, S. 439–497, S.
483–484, Nr. 397, Abb.; Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 120, Abb.S. 44 auf S.
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1 Eine Federstudie im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt von 1806 zur Komposition zeigt noch eine gänzlich andere Positionierung der am Abschied beteiligten Personen. Hier geht der Vater ohne Anteilnahme einfach voraus und Raffael wendet sich im Gehen nach der Mutter um; Ausst.-Kat. Stendal 2001, S. 166, Nr. V.2

Details about this work

Feder in Braun, Grau und Schwarz, Einfassungslinie (Feder und Pinsel in Grau) 220mm x 246mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1949-173 Collection: KK Zeichnungen, Deutschland, 1800-1850 © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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