Nicolas Dorigny, Radierer
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Verklärung Christi (Transfiguration Christi), 1705

Dieser Kupferstich Dorignys von 1705 ist eine der frühen, großformatigen Wiedergaben von Raffaels letztem, laut Giorgio Vasari beim Tod des Künstlers in seinem Haus im Stadtbezirk Borgo (Rione XIV) nahe St. Peter am Fußende seines Bettes aufgestellten, mit über vier Meter monumentalen Gemälde der Verklärung Christi (Anm. 1) Es handelt sich bei dem Hamburger Blatt um einen frühen Druck des Künstlers vor der späteren, 1764 durch Robert Strange erfolgten Überarbeitung der Druckplatte – leicht zu erkennen durch den später hinter dem Namen Dorignys am unteren Rand des Blattes eingefügten Titel „Eq.“ [Esquire] (Anm. 2) , von der es im Hamburger Kupferstichkabinett ebenfalls einen Druck gibt. (Anm. 3)
Das Gemälde zeigt, wie in der Bibel bei Matthäus (17, 1–20), Markus (9, 2–29) und Lukas (9, 28–43) beschrieben, in freier künstlerischer Verknüpfung zweier Ereignisse, die Verklärung Christi (lat. „transfiguratio“) auf dem Berg Tabor in Anwesenheit der Apostel und die Heilung eines besessenen (mondsüchtigen) Knaben. Jesus führte einige seiner Jünger auf einen Berg. Hier wird Bezug zu Moses’ ebenfalls von Zeugen begleiteten Aufstieg auf einen Berg im Alten Testament genommen (Exodus 24). Der Evangelist Lukas berichtet zu dem Ereignis: „Er stieg mit ihnen hinauf, um zu beten. Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes und sein Gewand wurde leuchtend weiß.“ (Lukas 9, 28–36). Dieses Taborlicht genannte helle Licht überstrahlt die anwesenden Apostel. Dann erscheinen Moses und Elias – sie versinnbildlichen Gesetzesordnung und Prophetie des Alten Bundes – rechts und links des verklärten Christus. Nun kommt eine Wolke und aus dieser ruft eine Stimme: „Dies ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“
Unterhalb der Verklärungsszene malte Raffael die Heilung des mondsüchtigen Knaben, die im Matthäus-Evangelium beschrieben wird (Matthäus 17, 14–20). Hier sieht man den wohl an Epilepsie leidenden Knaben, rechts seinen Vater und die kniende, erregt sich wendende Mutter begleitet von weiteren Männern und Frauen. Sie präsentieren den kranken Sohn den Aposteln, denen wegen ihrer Kleingläubigkeit die Heilung aber nicht gelingt; erst Christus, der den bösen Geist austreibt, gelingt die Genesung.
Das Gemälde wurde vom päpstlichen Vizekanzler Giulio de’Medici, einem Neffen Papst Leos X., spätestens 1516 bei Raffael bestellt. Es war ursprünglich zusammen mit einem weiteren Gemälde der Auferweckung des Lazarus von Sebastiano del Piombo für die Kathedrale Saint-Juste im französischen Narbonne gedacht, wo Giulio de’Medici Kardinal war. (Anm. 4) Doch nach Raffaels Tod wurde das Bild von diesem nicht an den ursprünglich gedachten Ort geschickt – für Narbonne wurde später eine Kopie angefertigt –, sondern zunächst im Vatikan mit dem Bild Piombos präsentiert, um dann im Palazzo della Cancelleria, dem Sitz des Vizekanzlers, aufgehängt zu werden. Als Giulio de’Medici 1523 als Clemens VII. zum Papst gewählt wurde, ließ er das riesige Bild in die Kirche San Pietro in Montorio im römischen Stadtbezirk Trastevere bringen. Hier wurde die Verklärung Christi zum Ziel vieler nach Rom reisender Raffaelverehrer, beispielsweise Johann Wolfgang von Goethes, der in seiner Italienischen Reise von dem Bild berichtet hat. Später rückten durch Napoleons Eroberungen verursachte abenteuerliche Wege das Gemälde zwischen 1798 und 1815 (vgl. Inv-Nr. 3142, 2021-6, 50040) in den Fokus der internationalen Raffaelbewunderung und -forschung. Seit 1815 befindet es sich in der Pinacoteca Vaticana in Rom. Das Bild wurde 1817 auch der Allegorie der Malerei von Giovanni De Min beigegeben, die dieser als Lünettenfresko in der von Antonio Canova initiierten Ausmalung der Galleria Chiaramonti im Vatikan ausführte. (Anm. 5)
Nicolas Dorigny erhielt zunächst eine Ausbildung zum Juristen. Erst mit 30 Jahren widmete er sich als Folge einer einsetzenden Taubheit der Kupferstechkunst. Ab 1687 lebte Dorigny in Rom, wo er eng verbunden mit Carlo Maratta (vgl. Inv.-Nr. kb-1863-85-138-2) tätig war. 1711 wurde er von Königin Anne nach Schloss Hampton Court in England eingeladen, wo er den Auftrag erhielt, die dortigen Wandteppiche Raffaels zu reproduzieren, was bis 1719 dauerte und ihm den Titel eines englischen Sir bescherte. Anschließend war er wieder in Paris ansässig, wo er 1725 Mitglied der Akademie wurde. Da später auch sein Sehvermögen beeinträchtigt war, gab er den Kupferstich ab 1739 zugunsten der Malerei auf und beteiligte sich bis 1743 mit verschiedenen Gemälden am Pariser Salon. Neben der vorliegenden Radierung nach Raffaels Verklärung Christi und den erwähnten sieben Radierungen nach dessen Kartons schuf er auch gute Reproduktionen nach Raffaels Mosaiken in der Chigi-Kapelle von Santa Maria del Popolo in Rom, dessen Fresken in der Farnesina in Rom sowie nach Werken von Daniele da Volterra, Maratta, Domenichino, Guercino, Annibale Carracci und Lanfranco.
Andreas Stolzenburg

LIT (Auswahl): Höper 2001, S. 274, Nr. 22.7, Abb. 108 auf S. 86 (überarbeitete
Platte von Robert Strange; mit älterer Lit.)

1 1518–20, Öl auf Kirschholz, 405 x 278 cm, Rom, Pinacoteca Vaticana; Meyer zur Capellen 2005, S. 195–209, Nr. 66, Farbtaf. S. 64 und 65; hier weitere Reproduktionsgraphiken gelistet (S. 205–207). Die Eigenhändigkeit von Raffaels letztem Werk wurde immer wieder in Frage gestellt, doch Restaurierungen der Jahre 1972–79 konnten diese Zweifel ausräumen.
2 Der vorliegende Druck wurde schon 1878 von dem ersten Inspektor des Kupferstichkabinetts, Christian Meyer, als „Vor der Retouche“ bezeichnet; Meyer 1878, S. 457.
3 Zweites, 1764 von Robert Strange überarbeitetes Exemplar: 793 x 512 mm (Platte), 857 x 575 mm (Blatt), Hamburger Kunsthalle, Bibliothek, Inv.-Nr. kb-1915-644- 19 (in: Diverse Gravure, Paris um 1835, Tafel 192. Pariser Ausgabe der PiranesiPlatten); erworben 1915 vom Antiquariat Joseph Baer & Co., Frankfurt a. M.
4 Öl auf Leinwand, 381 x 289,6 cm, London, National Gallery; Ausst.-Kat. Rom/ Berlin 2008, S. 178–181, Nr. 34.
5 Dal Mas 1992, S. 139–140, Abb. zur Galleria Chiaramonti siehe Hiesinger 1978.

Details about this work

Radierung 736mm x 493mm (Bild) 791mm x 511mm (Platte) 853mm x 562mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 19356 Collection: KK Druckgraphik, Frankreich, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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