Giovanni Battista Tiepolo (Nachahmer)

Mythologische Szene(?)

1921 erwarb Gustav Pauli im Münchner Kunsthandel drei Zeichnungen, die er unter dem Namen Giovanni Battista Tiepolo publizierte (Inv.-Nr. 1921-210 bis -212). Diese Zuschreibungen wurden im Laufe der letzten Jahrzehnte wiederholt – u. a. von Janos Scholz und Christel Thiem – angezweifelt.
Mit einer undatierten und anonymen Karton-Notiz wurde der von 1731/32 bis 1741 bei Tiepolo tätige Giovanni Raggi (1712– 1792/94) als Zeichner vorgeschlagen. Diesem aus Bergamo stammenden Künstler sind in den letzten Jahrzehnten vor allem von George Knox Blätter in verschiedenen Sammlungen zugeschrieben worden. Viele von diesen Zeichnungen trugen zuvor den Namen Tiepolo. Die Zuweisung der Hamburger Blätter an Raggi wurde 1995 von Hugo Chapman bestätigt.(Anm.1)
1996 hat Bernt Aikema begründete Zweifel an der Zuschreibung dieser verschiedenen Zeichnungen an Raggi geäußert.(Anm.2) Knox hatte ein Gemälde und eine motivgleiche Zeichnung für Raggi reklamiert und somit einen vermeintlichen Ausgangspunkt für eine Rekonstruktion von dessen zeichnerischem Werk geschaffen. Da laut Aikema das Gemälde keineswegs sicher von Raggi stammt, hält er auch die Zuweisung der Zeichnung nicht für zwingend. Zudem gibt es – so Aikema – keine stilistischen Entsprechungen zwischen den Zeichnungen und dem Gemälde. Auch ist keines der Blätter von Raggi signiert worden.(Anm.3) Eine gesicherte Zuschreibung an Raggi ist daher nicht möglich. Eine von Aikema vorgenommene genauere Untersuchung der Blätter der sogenannten Raggi-Gruppe ergab, dass es sich um mindestens drei verschiedene Stilarten, dementsprechend wohl auch um drei verschiedene Künstler handelt. Die Hamburger Blätter gehören demnach eng mit Blättern in Paris und New York zusammen. Diese Gruppierung hatten bereits 1988 Emmanuele Brugerolles und David Guillet vorgenommen.(Anm.4)
Die ursprüngliche Verbindung dieser Blätter mit Tiepolo ist insofern nachvollziehbar, als sich der anonyme Zeichner generell an den Kompositionen des Meisters orientierte – vor allem an den Capricci und den Scherzi di fantasia (entstanden zwischen 1750 und 1753; zweite Ausgabe um 1767). Ähnlich wie Tiepolo bildete er seine Kompositionen aus wenigen – zumeist seltsam isoliert dastehenden – Figuren, Vasen und Palmen. Vergleichbar ist auch die geheimnisvolle Atmosphäre der Szenen. Im Hintergrund erscheint häufig eine flüchtig skizzierte Gruppe von Alten oder Kriegern, die zumeist eine Variation eines einzigen Figurentypus’ darstellen. Sie sind Staffagefiguren, die selten am Geschehen teilnehmen. Doch während es Tiepolo gelingt, diese Gruppen schlüssig in die Gesamtkomposition einzugliedern, schafft es der anonyme Zeichner nur sehr selten, auf seinen Blättern eine stimmige Komposition aller Personen zu erzielen. Zudem erreicht er trotz der auf den ersten Blick ähnlichen Art der leichten Lavierung bei weitem nicht Tiepolos herausragende Qualität.
Eine Zuweisung dieser Blätter an einen bestimmten Künstler ist bislang nicht möglich. Möglicherweise ist das auf dem Hamburger Blatt Inv.-Nr. 1921-211 erkennbare Kürzel „SR“ als Künstlersignatur zu deuten.(Anm.5)

David Klemm

1 Briefliche Mitteilung, 1. 3. 1995.
2 Tiepolo e la sua cherchia. L’opera grafica. Disegni dalle collezioni americane, bearb. v. Bernard Aikema, Ausst.-Kat. New York, The Pierpont Morgan Library, New York 1999, S. 250 (Beitrag Bernard Aikema).
3 Zur Signatur auf dem Blatt Inv.-Nr. 1921-211 siehe unten.
4 Santa Barbara, University Art Museum von Santa Barbara, Feitelson Inventory Nr. 111; vgl. Old Master Drawings from the Feitelson Collection, hrsg. v. Alfred Moir, Ausst.-Kat. Santa Barbara, University Art Museum, University of California, Santa Barbara 1983, Nr. 61; New York, Pierpont Morgan Library, Inv.-Nr. IV.151e; vgl. George Knox: Domenico Tiepolo: Raccolta di Teste 1770-1970, Mailand 1970, o. S., Nr. 24; und Paris, École Nationale Supérieure des Beaux-Arts, Inv.-Nr. M. 2417, M. 2418, M. 2525, M. 2527, M. 2528.
5 Auf dem Blatt in Santa Barbara befindet sich ebenfalls unten links ein in blasser Feder gesetztes Kürzel, das wohl als „SR f“ und nicht, wie im Katalog mit „GR f“ zu lesen ist.

Details about this work

Feder in Braun über schwarzem Stift, laviert 373mm x 255mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1921-210 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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