Giovanni Battista Piranesi

Die Treppe mit Trophäen (Carceri, 1. Fassung, Tafel VIII), um 1743/44

Zu den bedeutendsten Schätzen des Hamburger Kupferstichkabinetts zählt eine Gruppe von insgesamt 24 gesicherten Zeichnungen Giovanni Battista Piranesis. 16 von ihnen gelangten 1898 durch einen Ankauf des damaligen Direktors Alfred Lichtwark aus Berliner Privatbesitz in die Sammlung. 1908 wurde diese Gruppe durch ein Legat des Architekten Ludwig Hermann Philippi mit acht weiteren Blättern ausgebaut. Damit besitzt das Kabinett einen der weltweit größten Bestände des Künstlers. Besonderes Interesse haben stets jene Studien hervorgerufen, die sich mit Piranesis berühmtester Graphikserie, den „Invenzioni Capric di Carceri (…)“ verbinden lassen. Ihre Faszination rührt von jener einzigartigen Kombination aus mächtigen, barocken Bühnengestaltungen, architektonisch mehr oder weniger nachvollziehbaren Raumphantasien und pathetischer Gestik her.
Die vorliegende Studie stellt die seitenverkehrte Vorzeichnung für „Die Treppe mit Trophäen“, das achte Blatt der ersten Ausgabe der „Carceri“, dar.(Anm. 1) Die Zeichnung zeigt das Zwischenstockwerk eines Treppenhauses. Dies erscheint allerdings wenig feierlich und prunkvoll und erinnert in seiner Kleinteiligkeit eher an einen verwinkelten Dachboden.
Norbert Miller hob treffend hervor, dass die Hamburger Zeichnung alle faszinierenden Merkmale der „Carceri“ vor Augen führt.(Anm. 2) Die Architektur wirkt zwar monumental, doch haftet ihr gleichzeitig etwas Provisorisches an. Es ist, als ob die gigantische Konstruktion aus unbekannten Gründen plötzlich unvollendet liegen geblieben wäre.(Anm. 3) Der Betrachter blickt auf das nackte, unverputzte Mauerwerk, das zudem keinerlei auffallende dekorative Verzierung, z. B. durch Kapitelle, Schmuckgesimse usw., aufweist. Verstrebungen sichern die statische Tragfähigkeit dieses Raumgebildes ab. Hölzerne Dachstühle sind in den Gewölben zwischen die groben Steinquader eingehängt. Die überdimensionierten Arkaden können nur mittels Holzleitern und dürftigen Balkonbrüstungen erreicht werden. Angedeutete Treppenläufe weisen nach unten wie nach oben – in beiden Fällen lässt sich der weitere Verlauf nicht rational nachvollziehen. Auffallend ist die Dekorierung des Raumes mit Relikten antiker Machtentfaltung: Antike Siegesmonumente in Gestalt von monumentalen Trophäen flankieren die Treppenläufe. Oberhalb davon sind große Fahnen platziert, die in ihrer Zerschlissenheit an die Vergänglichkeit militärischer Erfolge erinnern. Die ganze geheimnisvolle Szenerie ist von wenigen, schemenhaft angedeuteten Menschen belebt. Diese Personen wirken – wie so oft bei Piranesi – in der sie umgebenden gewaltigen Architektur verloren. Der etwas diffuse Raumeindruck wird auch wesentlich durch die sehr lebendige Zeichentechnik bestimmt. Vor allem die effektvolle Kombination von bräunlicher Lavierung und Rötel trägt zur malerischen Stimmung bei.
Thomas wies auf die stilistischen Unterschiede zwischen Entwurf und Umsetzung hin.(Anm. 4) Die Zeichnung entspreche Piranesis frühem Zeichenstil, der Ähnlichkeiten mit dem von Canaletto und der Guardi-Familie aufweise. Die Radierung ließe aber mit ihrer leichten Skizzenhaftigkeit, mit den rhythmischen Kurvierungen und dem Verzicht auf allzu starke Kleinteiligkeit bereits unverkennbar den Einfluss Giovanni Battista Tiepolos erkennen. Thomas nahm daher eine Entstehung des Blattes um 1744 an, als Piranesi kurzzeitig nach Venedig zurückgekehrt war.(Anm. 5) Die Radierung entstand aber erst nach der vermuteten Lehre bei Tiepolo, also am Ende des Venedig-Aufenthalts bzw. kurz nach der Rückkehr nach Rom 1749/50.
Unter den Hunderten von erhaltenen Zeichnungen Piranesis finden sich nur sehr wenige Blätter, die als direkte Vorzeichnungen für die Carceri eingestuft werden können. Vor diesem Hintergrund kommt der niemals in ihrer Eigenhändigkeit bezweifelten Hamburger Zeichnung besondere Bedeutung zu.
Zur Montierung und Nummerierung auf dem Verso vgl. Inv.-Nr. 1915-638.

David Klemm

1 John Wilton-Ely: Giovanni Battista Piranesi. The Complete Etchings, 2 Bde., San Francisco 1994, I, S. 61, Nr. 33; vgl. auch Corinna Höper: Giovanni Battista Piranesi. Die poetische Wahrheit – Radierungen, in Zusammenarbeit mit Jeannette Stoschek, Stefan Heinlein, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart, Ostfildern-Ruit 1999, S. 129–146 mit allgemeinen Angaben zur Folge. 2005 konnte für das Kupferstichkabinett ein Exemplar der seltenen ersten Ausgabe erworben werden (Inv.-Nr. 2005-35-1-14).
2 Zum Folgenden vgl. Norbert Miller: Archäologie des Traums. Versuch über Giovanni Battista Piranesi, München 1978, S. 84–86.
3 Ebd., S. 85.
4 Hylton A. Thomas: The Drawings of Giovanni Battista Piranesi, London 1954, S. 37.

Details about this work

Feder in Braun, Rötel, braun laviert; montiert und mit Rahmung versehen (Feder in Braun) 186mm x 132mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 1915-644 Collection: KK Zeichnungen, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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