Ludwig Gruner, Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Drouart, Paris, Drucker
J. Ryman, Verleger
Paul & Dominic Colnaghi, Verleger

Thronende Madonna mit dem Christusknaben und Heiligen / "LA MADONNA DEI ANSIDEI", 1856

Das vorliegende Blatt bezieht sich auf Raffaels sog. Madonna dei Ansidei. Dieses Gemälde bildete die zentrale Tafel der Pala Ansidei, eines Altares, welcher um 1505 vermutlich auf Geheiß Niccolò Ansideis für die von seinem Vater gestiftete Familienkapelle, geweiht dem hl. Nikolaus von Bari, in der Kirche S. Fiorenzio in Perugia angefertigt wurde. (Anm. 1) Neben der Tafel mit der thronenden Madonna hat sich außerdem ein Teil der Predella erhalten, welcher den predigenden Johannes den Täufer zeigt. 1768 kam die Madonna dei Ansidei in den Besitz Lord Robert Spencers, der das Werk auf seiner Grand Tour in Italien als Geschenk für seinen Bruder George Spencer-Churchill, den 5th Duke of Marlborough, erwarb. (Anm. 2) Das Bild befand sich bis 1885 in Blenheim Palace und gehört seither zusammen mit der erwähnten Predellen-Tafel zur Sammlung der National Gallery in London. (Anm. 3) In Form einer klassischen Sacra Conversazione zeigt Raffael die thronende Madonna mit Christusknaben und Bibel, flankiert von Johannes dem Täufer und dem Heiligen Nikolaus von Bari. Die Figuren befinden sich in einer kapellenartigen Architektur, welche den Blick auf eine Landschaft im Hintergrund freigibt. (Anm. 4)
Die Zahl an Reproduktionsgraphiken nach der Madonna dei Ansidei ist überschaubar. (Anm. 5) Möglicherweise hängt dies mit dem frühen Verkauf des Originals in eine Privatsammlung nach England zusammen. Ludwig Gruner begann seine Ausbildung zum Stecher bei Ephraim Gottlieb Krüger und setzte diese ab 1825 in Mailand bei Giuseppe Longhi und Pietro Anderloni fort. Seit den späten 1830er Jahren machte er sich durch zahlreiche Veröffentlichungen mit Stichen nach Architektur und Gemälden einen Namen und wurde 1856 zum Direktor des Kupferstichkabinetts in Dresden berufen. (Anm. 6) Gruner hielt sich ab 1832 sowie erneut ab 1841 in England und Schottland auf und setzte sich dort intensiv mit Gemälden und Kartons Raffaels auseinander. (Anm. 7) Hier wurde er adviser in art Königin Victorias und
Prince Alberts (selbst großer Verehrer Raffaels), denen er zahlreiche seiner Publikationen vor allem zu Fresken der italienischen Renaissance widmete und für die er Wanddekorationen im Stile des Urbinaten
Entwarf. (Anm. 8) Wenngleich das vorliegende Blatt zu einem späteren Zeitpunkt gedruckt und veröffentlicht wurde, stammt die Vorzeichnung aus der Zeit seines ersten Aufenthaltes in England. (Anm. 9) In kleinerer Form diente ein weiterer Kupferstich der Madonna dei Ansidei von seiner Hand gemeinsam mit sieben weiteren Graphiken nach Raffael als Illustration zu Passavants 1839 bis 1858 in drei Bänden erschienenem Werk Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni Santi. (Anm. 10) In seiner satten Tonalität und den kontrastreichen Tonabstufungen zeugt das vorliegende Blatt vom Können Ludwig Gruners und ist zugleich ein relativ seltenes Motiv innerhalb der Reproduktionsgraphik nach Raffael.
Klara Wagner

LIT (Auswahl): Apell 1880, S. 186, Nr. 6 IV (von IV); Höper 2001, S. 288, Nr. D 4.2 (mit älterer Lit.)


1 1505, Öl auf Pappelholz, 209 x 148 cm, London, National Gallery; Meyer zur Capellen 2001, S. 165–171, Nr. 16; Höper 2001, S. 288, Nr. D 4.1–4.3; Cooper/Plazzotta 2004, S. 728–730.
2 Zur Geschichte des Ankaufs aus Italien siehe Cassidy 2008, S. 672–673. Robert Spencer erwarb das Gemälde zusammen mit der Predella-Tafel mit dem predigenden Johannes dem Täufer von Colin Morison, einem in Italien lebenden Künstler, Kunstkenner und Händler, welcher seinerseits in den Besitz der Arbeit von Raffael kam, während die Kirche S. Fiorenzo wegen Umbauarbeiten zwischen 1768 und 1770 geschlossen war. Dazu ausführlicher Cassidy 2008, S. 674–675.
3 Der Verbleib der weiteren Tafel der Predella ist ungeklärt.
4 Zum Zustandekommen der gemalten Architektur, welche im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Aufstellungsort des Altares steht, siehe ausführlicher Cooper/Plazzotta 2004, S. 728.
5 Meyer zur Capellen 2001, S. 169.
6 Böckmann 2009, S. 478.
7 Ebd., S. 477–478.
8 Ebd., S. 478. Aus jener Zeit stammt auch eine Farblithographie, welche die Decke der Stanza della Segnatura zeigt (Inv.-Nr. 17210d). Gruner beriet Prinz Albert auch bei der wissenschaftlichen Katalogisierung von dessen Sammlung von Reproduktionen nach Raffael, welche später durch Karl Ruland durchgeführt wurde.
9 Böckmann 2009, S. 477.
10 Höper 2001, S. 288, Nr. D 4.2; vgl. Böckmann 2009, S. 477.

Details about this work

Kupferstich, Nadelschrift 523mm x 371mm (Bild) 596mm x 418mm (Platte) 790mm x 550mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 17210e Collection: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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