Karl Kappes, Radierer
nach Bernardino di Betto, gen. Pinturicchio, Maler
F. A. Brockhaus (Leipzig), Drucker, Verleger

"RAFAEL UND PINTURICCHIO.", 1858 (gestochen vor 1858)

In: Passavant, Johann David: "Rafael von Urbino und sein Vater Giovanni Santo", Dritter Theil, Leipzig, 1858, Taf. nach S. 8 (Gesamtzählung: Taf. XVI)

Im reichen und vielfältigen Bestand an Bildnissen Raffaels stellen die Werke, die ihn mit seinen Lehrern zeigen, eine eigene Motivgruppe dar. Diese Porträts oder anekdotenhaften Schilderungen erden den göttlichen Raffael. Sie verdeutlichten, dass dieser herausragende Künstler von Beginn seiner Laufbahn an keineswegs vollendet war, sondern dass er intensiv gelernt und von vielen Seiten Anregungen empfangen hat.
Das bekannteste Bild dieses Motivkreises zeigt Raffael mit einiger Wahrscheinlichkeit mit dem für seine Stilentwicklung prägenden Perugino am rechten Rand der Schule von Athen (Inv-Nr. 20490). Einige Werke schildern Begegnungen mit ihm zugewandten Kollegen wie Fra Bartolommeo (Inv-Nr. kb-2019-652-2) oder Leonardo da Vinci (Inv-Nr. 45210). Und es fehlen keineswegs Darstellungen, auf denen die künstlerisch durchaus fruchtbare Animosität zu Michelangelo thematisiert wird (Inv-Nr. kb-2020-144g-2).
Viel stärker als heute wurde im 19. Jahrhundert Raffaels Beziehung zu Bernardino di Betto, gen. Pinturicchio wahrgenommen. (Anm. 1) Nach damaliger Vorstellung hatte der noch junge Raffael dem schon arrivierten Meister maßgeblich bei dessen wichtiger Ausmalung der Libreria Piccolomini im Dom von Siena geholfen – eine Einschätzung, die heute lediglich für Teile des Entwurfs aufrecht erhalten wird. (Anm. 2) Das vermeintlich enge Verhältnis der beiden Künstler führte dazu, dass viele Kunsthistoriker auf der Suche nach einem dieser Vorstellung entsprechenden Doppelbildnis waren. Die figurenreichen Kompositionen Pinturicchios in Siena boten reichlich Möglichkeit, fündig zu werden. Am häufigsten genannt wurde ein Motiv auf dem Wandbild mit der Heiligsprechung der Katharina von Siena durch Papst Pius II. (Anm. 3) Pinturicchio zeigt dort im unteren linken Bereich direkt nebeneinander stehend einen jungen und einen älteren Mann. Sie tragen elegante Kleider und halten je eine lange Kerze. Während der ältere wohlwollend auf den jüngeren Mann herabschaut, präsentiert sich dieser mit den leicht gespreizten Beinen und dem in die Hüfte gestützten rechten Arm durchaus selbstbewusst. Es wundert kaum, dass die beiden Figuren in das vorgefasste Bild von Lehrer und aufstrebendem Schüler passten. Diese in der Raffael-Literatur bereits mehrfach erwähnte Figurengruppe gewann 1858 an Gewicht, als sie kein geringerer als Johann David Passavant im dritten Band seiner Raffael-Monographie mit einer Abbildung publizierte. Diese stammte von Karl Kappes, einem in Frankfurt tätigen Reproduktionsstecher, dessen Spektrum von Albrecht Dürer bis Edward von Steinle reichte. Passavant war offenbar davon überzeugt, dass die künstlerisch eher bescheidene Reproduktionsgraphik für viele Kunstfreunde „eine angenehme Beigabe“ (Anm. 4) sein könnte und dass dadurch das Interesse an seinem Buch gestärkt würde. Für Passavant war Pinturicchios Doppelbildnis unzweifelhaft ein „schönes Zeugniss von der Anerkennung und der Dankbarkeit, welche der ältere Meister dem ihm überflügelnden jungen Mitschüler öffentlich zu widmen kein Bedenken trug.“ (Anm. 5) Passavants Wort hatte Gewicht, denn er kann mit Fug und Recht als der eigentliche Begründer der kritischen Erforschung des Werks von Raffael angesehen werden. Seine 1839 bis 1858 in drei Bänden erschienenen Untersuchungen setzten Maßstäbe und gelten als erste fundierte Monographie zu Raffael. (Anm. 6) Mit der „Beigabe“ des Doppelbildnisses setzte Passavant im Übrigen die von ihm bereits 1839 begonnene Veröffentlichung von Darstellungen aus dem Leben Raffaels fort.
Aus heutiger Sicht ist die Einschätzung des Doppelbildnisses von Raffael und Pinturicchio durch den ansonsten so quellenkritischen Passavant schwer nachvollziehbar. Denn für diese Identifikation gibt es keinerlei Untermauerung durch schriftliche Zeugnisse oder andere bildliche Darstellungen. (Anm. 7) Es ist charakteristisch für Pinturicchio, dass er häufig typisierte Figuren malte. Daher finden sich in seinen Kompositionen wiederholt Personen, die hinsichtlich Physiognomie, Haltung und Kleidung ähnlich erscheinen.
David Klemm

IT (Auswahl): Passavant 1839a, S. 74–75; Wagner 1968, S. 42–44; Brandt/Hefele/Lehner/Pfisterer 2021, S. 340–341, Nr. 94 (Beitrag Hanna Lehner)

1 Wagner 1968, S. 42.
2 Zur Ausmalung in Siena siehe Roettgen 1997, S. 296–331.
3 Vgl. Passavant 1838a, S. 74–75; Wagner 1968, S. 43 mit Angabe der Autoren; eine Abbildung der Figuren findet sich bei Roettgen 1977, S. 329, Taf. 171.
4 Passavant 1858, S. VII.
5 Passavant 1839a, S. 75.
6 Vgl. Eberlein/Naredi-Rainer/Pochat 2010, S. 332–335. Siehe auch den Beitrag von Andreas Stolzenburg in diesem Band, S. 86–87.
7 Zu Pinturicchios Selbstbildnis auf dem Fresko mit einer Verkündigung in S. Maria Maggiore in Spello, 1501, bestehen nur allgemeine Übereinstimmungen; vgl. Pfisterer 2019, S. 95.

Details zu diesem Werk

Radierung, Kupferstich 157mm x 117mm (Platte) 213mm x 125mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-971-3 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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