Georg Wolfgang Knorr, Stecher
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler
Andreas Bieling, Drucker

Bildnis Raffaels, 1759 (Erstdruck 1738)

In: Knorr, Georg Wolfgang, in: "Allgemeine Kuenstler=Historie oder beruehmter Kuenstler Leben, Werke und Verrichtungen mit vielen Nachrichten von raren alten und neuen Kupferstichen [...]", Nürnberg 1759, nach S. 188

Ähnlich wie das Bildnis des Bindo Altoviti (vgl. Inv-Nr. 60683) galt auch das Bildnis eines jungen Mannes, welches das Vorbild für Knorrs Kupferstich ist, lange Zeit als ein Selbstportrait Raffaels. (Anm. 1) Bereits aus dem 17. Jahrhundert stammen verschiedene Kopien des Gemäldes; die erste Reproduktionsgraphik von der Hand Paulus Pontius‘ wird in der Forschung auf 1630–1640 datiert. Pontius‘ Stich, welcher den Anstoß zu einer Reihe weiterer Reproduktionen gab, weist den Dargestellten bereits als Raffael aus. (Anm. 2) Knorr, der sich für sein Blatt ebenfalls auf Pontius‘ Version berief, bildet das Gemälde hier jedoch seitenverkehrt ab und verzichtet auf die im Hintergrund sichtbare Landschaft sowie das Interieur. Sein eigener Stich fokussiert sich rein auf die Physiognomie, was sich aus dem Herstellungs- und Verwendungskontext ergibt. Als Pendant zu einem Bildnis Albrecht Dürers fungiert das Blatt als Frontispiz zur von Knorr 1738 herausgegebenen Schrift Historische Künstler-Belustigung oder Gespräche In dem Reiche derer Todten, zwischen denen beeden Welt-bekannten Künstlern Albrecht Dürer und Raphael de Vrbino […], einer fingierten Begegnung Raffaels und Dürers im Totenreich. Ähnlich wie die beiden einander gegenüber gestellten Bildnisse zielt auch der Text in Dialogform auf einen direkten Vergleich ab. (Anm. 3)
Knorr, der seit 1723 in der Werkstatt Johann Leonhard Blanks in Nürnberg als Kupferstecher arbeitete, eignete sich autodidaktisch naturwissenschaftliche und kunsthistorische Kenntnisse an. Besonders bekannt waren seine Stiche zu botanischen und geologischen Werken sowie seine eigenen Publikationen in diesen Forschungsfeldern, welche durch ihre Exaktheit lange Zeit unangefochten blieben. Obschon das vorliegende Blatt strenggenommen nicht von einem Kunstwissenschaftler stammt, kommt ihm ein besonderer Platz innerhalb der Raffael-Rezeption zu. Zwar sind die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1796) von Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck bis heute das bekanntere literarische Beispiel für eine fingierte Begegnung zwischen Raffael und Dürer – jedoch illustriert der deutlich früher entstandene Portraitstich in Knorrs Buch die erste Geschichte, welche diese beiden Künstler aufeinandertreffen lässt. (Anm. 4) Der Autor stützt sich für seine Erzählung auf Vasaris Viten und Joachim von Sandrarts Teutsche Akademie. Er geht von der Legende aus, nach welcher Dürer Raffael als Zeichen der Anerkennung und Freundschaft sein Portrait übersandt habe. Im Reich der Toten erkennt Raffael den deutschen Künstler daher sogleich, als er ihm begegnet. Im Folgenden berichten die beiden abwechselnd über durch Knorr ausgewählte Punkte, die der Leserschaft einen direkten Vergleich ermöglichen. Dies betrifft etwa das Liebesleben der Künstler, aber auch ihre Erfahrungen mit dem Medium des Kupferstichs: Ein nicht ungeschickter Schachzug des Autors, der so die Vorzüge der eigenen Profession im von ihm fingierten Gespräch dialogisch herausstellen kann. (Anm. 5)
Klara Wagner

LIT (Auswahl): Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 308–311, Nr. 67 (Ausgabe
von 1738; Beitrag Gabriella Szalay)

1 Auch Passavant illustrierte die französische Ausgabe seiner Raffael-Biografie mit einem Stich nach dem vermeintlichen Selbstbildnis; im Zusammenhang mit dem Raffael-Kult nach 1800 diente es als Grundlage vieler idealisierter Portraits des Verehrten – ähnlich wie im Fall des Gemäldes Donna Velata; vgl. Meyer zur Capellen 2001, S. 96, Nr. 70. Der Portraittypus, auf den Raffael sich beruft, findet sich besonders in Norditalien, beispielsweise bei Giorgione oder Tizian; jedoch ebenfalls in den Niederlanden wie beispielsweise bei Memling oder Petrus Christus. Józef Grabski spricht sich in einer Art Kombination verschiedener Forschungsansichten dafür aus, dass es sich um ein Idealbildnis Raffaels, jedoch ausgeführt von fremder Hand handelt; Grabski 2016, S. 218, S. 238.
2 Zum Stich von Paulus Pontius siehe Höper 2001, S. 231, Nr. B 7.1. Außerdem wählte Jan Brueghel d. Ä. das Gemälde als Vorbild für das Portrait des Urbinaten in seiner Allegorie der Malerei. Van Dyck gab seiner Iconografia ebenfalls einen Stich nach dem Bildnis eines jungen Mannes als Portrait Raffaels bei; Meyer zur Capellen 2008, S. 94–96, Nr. 70; vgl. Grabski 2016.
3 Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 308–309, Nr. 67 (Beitrag Gabriella Szalay).
4 Kurz 2014, S. 41–42. Als Stecher und Verleger war Knorr beispielsweise an Kasimir Christoph Schmidels Icones plantarum et analyses partium beteiligt, außerdem veröffentlichte er selbst die Deliciae naturae selectae in welchem bereits eine systematische Klassifikation nach einzelnen Gruppen bzw. Stämmen der verzeichneten Tiere (z. B. Muscheln, Korallen, Schmetterlingen, Fischen, Vögeln, vierfüßigen Tieren und weiteren) vorgenommen wird. Seine ästhetisch ansprechenden Publikationen waren vor allem auch aufgrund ihrer Exaktheit gefragt und geschätzt.
5 Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 308–309, Nr. 67 (Beitrag Gabriella Szalay). Vgl. Knorr 1738, darin vor allem S. 6–7, 11, 15–16, 18–19, zu den Bemerkungen in Bezug auf das Medium Kupferstich. In einer Zeit, in welcher Reproduktionsgraphiken eine zunehmend wichtige Rolle spielten, erscheint das Lob des Kupferstiches und das Aufzeigen der Vorteile des Mediums durch einen Autor, welcher überdies selbst Kupferstecher ist, kaum als Zufall. Zudem spielt sicherlich auch der Stolz auf die eigene Profession im Zusammenhang mit einer Aufwertung durch Tradition eine Rolle: Knorr lässt Raffael berichten, er sei selbst durch das Betrachten der Arbeiten Dürers dazu angeregt worden, seine Werke stechen zu lassen, habe jedoch aufgrund der Erkenntnis, dass es sich um eine genuin deutsche (bzw. nordalpine) Disziplin handele und italienische Stecher noch nicht zu Vergleichbarem fähig seien, deutsche Stecher beauftragt. Geschickt flicht der Autor außerdem das Problem der unerlaubten Kopie und des Ideendiebstahls ein, betont jedoch andererseits mit äußerstem Nachdruck die großen Vorzüge des Kupferstiches als Reproduktionsmedium und die damit verbundene, viel breiter gestreute Rezeption. Hierfür fungiert Marcantonio Raimondi als Schlüsselfigur, der dazu mit Dürer im Streit gestanden, mit Raffael jedoch im Einverständnis gearbeitet habe.

Details zu diesem Werk

Kupferstich 149mm x 121mm (Bild) 199mm x 161mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-960-9 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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