Gaetano Santamaria, Stecher
nach (?) Michele Bisi, Zeichner, Erfinder
nach (?) Luigi Bridi, Stecher
Borroni e Scotti, Verleger

Raffael und die Fornarina / „Raffaello e la Fornarina“, 1845

In: Cicconi, Luigi: "RAFFAELLO E LE BELLE ARTI [...]", Mailand 1845, Titelvignette

Mehr und mehr wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch in Italien die Vita Raffaels zum Gegenstand der Populärliteratur. 1845 verfasste der italienische Schriftsteller Luigi Cicconi eine das tägliche Leben der Protagonisten bildhaft und oft derb beschreibende Erzählung aus der Zeit Papst Leos X., in der Raffaels Leben in elf Kapiteln geschildert wird. Erzählt wird ausführlich – stets auf der traditionellen Überlieferung Vasaris gegründet – beispielsweise das Zusammentreffen des Künstlers mit Bramante, Raffael, der seiner Geliebten Fornarina die Loggia di Psiche erläutert oder der Künstler mit seinen Schülern. Raffael wird hier – ähnlich wie 1822 in Achim von Arnims Raphael und seine Nachbarinnen – nicht als der spirituelle Madonnenmaler, sondern als sich den Sinnenfreuden hingebender Mensch vor den Augen des Lesers ausgebreitet. Dem Buch vorangestellt ist eine Doppelseite mit zwei Illustrationen zum Leben des Künstlers. Im Gegensatz zu den früheren Darstellungen von Raffaels Tod durch Monsiau (Inv-Nr. 2019-1), Bergeret und den Brüdern Riepenhausen (Inv-Nr. kb-1863-85-304-1 bis -13 und 2019-652-1 bis 13) ist die von Roberto Focosi für das Frontispiz (Inv-Nr. kb-2020-481g-1) gezeichnete Inszenierung trotz der ebenfalls zahlreich anwesenden Trauernden viel intimer und weniger offiziell gestaltet. Leo X. steht am Fußende des Bettes und legt dem Künstler zu Ehren Blumen nieder. Eine Geste, die eher der Bürgerlichkeit der Mitte des 19. Jahrhunderts entspricht, als der Würde eines Renaissance-Papstes und die von keinem anderen Künstler bis dahin so gezeigt wurde.
Die figürliche Titelvignette (Inv-Nr. kb-2020-481g-2) zeigt eine ländlich-romantische Szene Raffaels mit seiner Geliebten Fornarina sitzend unter einem Baum. Der Künstler blickt kurz von seiner Arbeit an einer Zeichnung (wohl der Fornarina) auf. (Anm. 1) Die Figuren beziehen sich in ihrer Physiognomie auf keines der älteren bekannten Bildnisse des Künstlers oder der Fornarina. Es handelt sich um eine biedermeierlich wirkende, höchst bürgerlich gedachte Szene, in der die Geliebte Raffaels nichts aufregend-erotisches an sich hat. Das ungewöhnliche Motiv ist eine direkte Übernahme des Stechers Santamaria der von Luigi Bridi nach einer Zeichnung Michele Bisis radierten Vignette in der 1829 erschienenen italienischen Ausgabe von Quatremère de Quincys Buch über das Leben und die Werke Raffaels. (Anm. 2)
Die Darstellung des Liebespaars Raffael-Fornarina in einer Landschaft und nicht wie in anderen Bildern meist üblich im geschützten Raum des Künstlerateliers findet sich beispielsweise auch auf einem verschollenen Gemälde des Franzosen François-Édouard Picot von 1820 (vgl. Inv-Nr. kb-2020-489g-5).
Andreas Stolzenburg

Ausst.-Kat. Florenz 1984, S. 152, Nr. 81, Abb. S. 152 und 154
(Exemplar: Florenz, Biblioteca Marucelliana)

1 In der Vorlage von Luigi Bridi erkennt man auf dem Papier deutlich die Umrisse eines Frauenkopfes. Freundlicher Hinweis von Jan Steinke, Hamburg.
2 Unten links bezeichnet: „M. Bisi dis.“; unten rechts signiert: „L. Bridi inc.“; unten in der Mitte bezeichnet: „Amor che in Lui dal bel volto discende / Ne scalda il core e più sublime il rende“; darunter unten links bezeichnet: „Per Fr.co Sonzogno q.m G. B. Mil. 1829.“, Hamburger Kunsthalle, Bibliothek, Inv.-Nr. kb-1204-1.

Details zu diesem Werk

Kupferstich, Radierung 105mm x 90mm (Bild) 171mm x 110mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek. Erworben 2020 von der Libreria Antiquaria Palatina, San Casciano in Val di Pesa (Florenz), mit Mitteln des Fördervereins "Die Meisterzeichnung. Freunde des Hamburger Kupferstichkabinetts e. V." Inv. Nr.: kb-2020-481g-2 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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