Charles Pierre Joseph Normand, Radierer
nach Alexandre Menjaud, Maler
Pillet Ainé, Drucker, Verleger

"Raphaël peignant son tableau de la Vierge aux Anges" / Raffael malt die "Madonna mit dem Engel", 1831

In: "ANNALES DU MUSÉE ET DE L'ÉCOLE MODERNE DES BEAUX-ARTS, 15, SALON DE 1819.", 2. Band, Paris, 1831, Tafel 19, vor Seite 31

Der aus Paris stammende Historienmaler Alexandre Menjaud war ein Schüler Jean-Baptiste Regnaults (vgl. Inv-Nr. HK-510) und gab 1796 sein Ausstellungsdebüt im Pariser Salon. 1802 erhielt er den begehrten Prix de Rome mit einer Darstellung aus der römischen Geschichte, was mit einem mehrjährigen Aufenthalt von 1802 bis 1806 an der französischen Akademie in der Villa Medici in Rom verbunden war. Menjaud spezialisierte sich auf Gemälde mit historischen Darstellungen aus der antiken sowie der französischen Geschichte, nach 1815 kamen auch Szenen aus dem Leben berühmter Künstler hinzu, wie beispielsweise Tintoretto oder eben wie im Jahr 1819 die hier in der Reproduktion von Charles Pierre Joseph Normand wiedergegebene Atelierszene aus dem Leben Raffaels mit seiner Geliebten Fornarina. (Anm. 1)
Die Darstellung Menjauds (Anm. 2) aus dem Leben Raffaels – präsentiert 1819 auf dem Pariser Salon – zeigt, wie Raffael vor der Staffelei an dem Gemälde der Heiligen Familie Franz I. (Anm. 3) malt (vgl. Inv-Nr. 2021-33). Landon beschreibt das Bild in seinem Kommentar als Vierge aux Anges (Madonna mit dem Engel), benannt nach der von links oben in die Komposition eingreifenden Engelsgestalt mit der Blumenkrone in den Händen. Als Modell sitzen ihm unter einem Baldachin seine Geliebte Fornarina und ein nackter Knabe, ganz in der Pose, wie man sie bei Maria und dem Jesusknaben auf Raffaels Gemälde findet. Das Gemälde Raffaels ist mit seinen Maßen allerdings wesentlich größer, als Menjaud es auf der Staffelei erscheinen lässt. Interessant ist dessen Kunstgriff, auf die Anekdoten um die Fornarina als Raffaels Modell nach der Natur zurückzugreifen, diese Darstellung aber auf ein sich seit langer Zeit in Frankreich befindendes Madonnengemälde des Künstlers zu übertragen und die Physiognomie der Fornarina nun eben diesem Bild anzugleichen und nicht – wie Ingres es zuvor getan hatte (vgl. Inv-Nr. 20410) – nach dem ansonsten üblichen Schema des Porträts der angeblichen Fornarina von der Hand Raffaels. (Anm. 4)
Die Annales du Musée et de l’École moderne des Beaux-Arts wurden 1801–1835 von Charles Paul Landon als jährlich herausgegebenes Publikationsorgan zur visuellen Verbreitung antiker und alter Kunst sowie – und dies war ein neuer Ansatz, der sich wohl Landons Tätigkeit als Kunstkritiker und Journalist im Journal des Arts und der Gazette de France verdankte – der nach 1800 stark anwachsenden zeitgenössischen französischen Kunstproduktion gegründet. (Anm. 5) In der ersten Reihe der Annales du Musée ab 1801 wurden die durch Napoleons Feldzüge zahlenmäßig stark anwachsenden Werke des Musée Napoleon im Louvre und der École des Beaux-Arts in Umrisslinienradierungen vorgestellt. In einer zweiten, ab 1808 erschienenen Serie widmete sich Landon dann auch den alljährlichen Ausstellungen des Pariser Salons und schuf so zu den offiziellen Ausstellungskatalogen derselben ein bildliches Äquivalent, dem wir die Kenntnis vieler heute längst verschollener Gemälde des frühen 19. Jahrhunderts verdanken. So findet sich in den Annales du Musée beispielsweise als Reproduktion des für Landon häufig tätigen Stechers Charles Pierre Joseph Normand auch das verschollene, 1804 im Salon ausgestellte Gemälde von Nicolas-André Monsiau mit der Darstellung Raffaels Tod (vgl. Inv-Nr. 2019-1 und 2020-15).
Landons insgesamt 65 Bände sind umfangreiche Sammlungen von einprägsamen Umrisslinienradierungen, die getreue Reproduktionen von Kunstwerken darstellen. Neben Informationen zu den Künstlern – Preise und andere öffentliche Anerkennungen – wird jede Tafel mit einem eigenen Begleittext bedacht, in dem Landon die Ikonographie des Bildes beschreibt, und auf die Komposition sowie den Kontext, in dem das Werk entstand – Salon oder Wettbewerb – eingeht. Landon bot mit seinen kleinformatigen, sowohl in Bild wie Text schnell herzustellenden Bänden der Annales du Musée eine kostengünstige und sich aus diesem Grund rasch und weit verbreitende, bürgerliche Schichten erreichende Alternative zu den bis dahin üblichen reich ausgestatteten und daher teuren Kupferstichwerken verschiedenster Sammlungen und Galerien.
Nicht bei allen Rezipienten kamen die einfachen, nicht auf die malerischen Farbwerte der Bilder achtenden Umrisslinienradierungen allerdings gut an. So riet der deutsche Kunsthistoriker Georg Kaspar Nagler 1836 in der Einleitung zu seiner frühen Raffael-Monographie von diesen explizit ab: „Mancherlei findet sich in den Werken von Landon über Rafael, doch sind die Umrisse nicht zu empfehlen.“ (Anm. 6)
Andreas Stolzenburg

Charles-Paul Landon, in: Annales du Musée et de l’École moderne des Beaux-Arts Jg. 15, Salon de 1819, 2. Band, Paris 1831, S. 31–32

1 Ausst.-Kat. Paris 1819, S. 90, Nr. 823 („Raphaël et la Fornarine / Raphaël travaille, d’après la Fornarine, à sou tableau de la Vierge aux anges.“).
2 Der Verbleib des Gemäldes ist unbekannt.
3 Vollendet im Mai 1518, Öl auf Holz (auf Leinwand übertragen), 207 x 140 cm, Paris, Musée du Louvre; Meyer zur Capellen 2005, S. 170–177, Nr. 62, Farbtafel S. 57.
4 Landons Kommentar bezieht sich weitgehend auf das Werk Raffaels und seine Geschichte, jedoch kaum auf Menjauds Bild.
5 Zu Landons Annales du Musée siehe McKee 1990 Brandt/Hefele/Lehner/Pfisterer 2021, S. 171–172, Nr. 1 (mit älterer Lit.; Beitrag Hanna Lehner). Zu Landons Wirken allgemein siehe https://www.inha.fr/fr/ressources/publications/ publications-numeriques/dictionnaire-critique-des-historiens-de-l-art/landoncharles-paul.html (Beitrag: Chiara Savettieri; letzter Aufruf: 4. 2. 2021).
6 Nagler 1836, S. V.

Details zu diesem Werk

Umrisslinienradierung 117mm x 97mm (Bild) 191mm x 120mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-1979-940k-15 Sammlung: KK Druckgraphik, Frankreich, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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