Giovanni Brunetti, Stecher
Gaetano Savorelli, Zeichner, Erfinder
Francesco Piranesi, Drucker
Firmin Didot, Paris, Verleger

Büste Raffaels, 1835 gedruckt (2. Pariser Ausgabe), um 1790 gestochen

In der Piranesi-Gesamtausgabe, Band 21, Paris um 1835, Tafel 44 [hier: Tafel 38]

Der Kupferstecher Giovanni Brunetti reproduzierte um 1790 nach einer Zeichnung von Gaetano Savorelli in diesem Blatt eine Marmorbüste des römischen Bildhauers Pietro Paolo Naldini. Dieser erhielt seine künstlerische Ausbildung 1630 bis 1636 bei dem Maler Andrea Sacchi, in dessen Atelier er Carlo Maratta kennenlernte. Beide Künstler verband eine enge Freundschaft. Seine bildhauerische Ausbildung erhielt Naldini im Anschluss in der Werkstatt seines Onkels Baldassare Naldini, der seinerseits in den Ateliers von Alessandro Algardi und Gian Lorenzo Bernini gelernt hatte. Naldini wurde 1652 Mitglied der Accademia di San Luca und 1654 der Mitglied der Virtuosi del Pantheon. Er führte zahlreiche Werke in römischen Kirchen aus, beispielsweise nach einem Entwurf von Bernini die Skulptur der Santa Prassede in der Kirche Santa Maria del Popolo, nach 1661 das Grabmal seines Lehrers Sacchi und war beteiligt an den Stuckarbeiten der Scala Regia und den Engelsfiguren auf der Ponte Sant’Angelo.
Die 1674 vollendete Bildnisbüste Raffaels – zeitgleich entstand auch eine Büste des Malers Annibale Carracci – wurde im Auftrag von Carlo Maratta und auf seine Kosten am Grab des Künstlers im Pantheon aufgestellt. Das Marmororiginal Naldinis befindet sich heute in der Protomoteca Capitolina der Kapitolinischen Museen. (Anm. 1) Oberhalb des Grabs wurde 1883 im linken Okulus anlässlich des 400. Geburtstages Raffaels eine Bronzekopie aufgestellt. (Anm. 2) Es entstanden auch schon früher Kopien nach der Büste Naldinis, beispielsweise von dem römischen Bildhauer Alessandro Rondoni. (Anm. 3) Naldinis Büste zeigt einen klassisch wirkenden jugendlichen und bartlosen Raffael, gekleidet in Gewänder der Renaissance. Ein Vierteljahrhundert zuvor hatte Nicolas Chaperon die Büste Raffaels in seinem Frontispiz der Loggien-Folge von 1649 noch christusgleich bärtig und in antiker Toga wiedergegeben.
Naldinis Raffael-Büste findet sich erstmals reproduziert auf dem Frontispiz des zweiten Bandes von Giovanni Gaetano Bottaris 1759 in Rom herausgegeben Ausgabe der Viten des Vasari. Sie ist im Hintergrund in einer fiktiven Szene auf einer Säule zu sehen, vor der Tizian an einer Danae malt, die er Michelangelo und Vasari präsentiert. (Anm. 4)
Die Geschichte des Raffael-Grabes ist komplex und in der Abfolge der architektonischen und künstlerischen Eingriffe noch immer nicht vollends geklärt. (Anm. 5) Carlo Maratta war es, der um 1674 eine Neugestaltung der Grabanlage zu Ehren von Raffael und dem daneben gleichfalls dort ruhenden Annibale Carracci – mit einer Neupositionierung der Inschriften – auf eigene Kosten anstrebte und auch umsetzte. Mit dieser Neugestaltung entwarfen Maratta und der Kunstschrifsteller Giovanni Pietro Bellori ihr eigenes kunsttheoretisches Programm, dessen klassische Tradition von Raffael über den Erneuerer der Malerei Annibale Carraci bis hin zu Maratta selbst als deren Vollendung führte. Maratta hielt seine ikonographische Idee der verehrten Grabstätte auch in einer Zeichnung fest, die von Pietro Aquila gestochen wurde (Inv-Nr. kb-1963-85-138-2). (Anm. 6) In Aquilas Stich erkennt man eine seitenverkehrte Wiedergabe der Büste Naldinis.
Brunettis 1790 ausgeführter Stich, der hier in einem späten, um 1835 abgezogenen Druck zu sehen ist (Anm. 7), isoliert die Büste vor einem hellen Hintergrund auf ihrem Sockel und verleiht dem Bildnis so eine Aura von Unnahbarkeit. 1824 bemängelte der Zeichner und Lithograph Friedrich Rehberg (vgl. Inv.-Nr. kb-2020-328g-2), dass es keine gute graphische Reproduktion der Büste Naldinis gäbe: „Rafael’s Brustbild in Marmor von P. Naldini welches Carl Maratta in dem Pantheon zu Rom als ein Monument aufstellen ließ, jetzt im Capitol, ist verschiedentlich, aber niemals auf eine befriedigende Weise in Kupfer gestochen.“ (Anm. 8) Der Blick auf die hier vorliegende Wiedergabe Brunettis bestätigt dieses negative Urteil Rehbergs allerdings nicht.
Andreas Stolzenburg

1 Genovese 2015, S. 155, Abb.; vgl. Martinelli/Pietrangeli 1955, S. 80, Nr. 68, Taf. IV,2.
2 Genovese 2015, S. 123, Abb.; vgl. ein zwischen 1864 und 1866 entstandenes Foto von Carlo Baldassare Simelli, das beide Okuli leer zeigt; Genovese 2015, S. 116, Abb.
3 Marmor, Paris, Musée du Louvre. Vgl. einen von König Louis-Philippe beauftragten Abguss nach Rondonis Büste für die Galeries Historiques in Schloss Versailles; 1839, Versailles, Musée National des Château des Versailles et de Trianon; Ausst.-Kat. Luxemburg 2002, S. 112, Nr. 46.
4 Sarti 2020, S. 90, Abb. 3 (Exemplar: Rom, Bibliotheca Hertziana).
5 Siehe dazu Genovese 2015, S. 65–132 und den viele, leider meist unkommentierte Dokumente enthaltenden Blog von Maria Emilia Graziani: Il mistero della tomba di Raffaelle e altre storie; http://la-morte-di-raffaello-da-urbino.blogspot.com/2016/11/tomba-di-raffaello-al-pantheon-la-morte.html (letzter Aufruf: 1. 4. 2021).
6 Genovese 2015, S. 65–70.
7 Francesco Piranesi ließ die Druckplatten seines Vaters Giovanni Battista Piranesi mehrmals neu drucken. Die Platten gelangten nach Paris, wo der Verleger Firmin Didot um 1835 eine letzte Ausgabe drucken ließ, in der sich in einigen Bänden auch druckgraphische Werke anderer Künstler, wie hier Brunetti, finden. Zur Datierung und Zusammensetzung der in Hamburg vorhandenen später Piranesi-Stiche der Pariser Ausgabe siehe Müller 2003, S. 28–30.
8 Rehberg 1824, S. 15.

Details zu diesem Werk

Kupferstich 227mm x 161mm (Platte) 578mm x 428mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-1915-642-38 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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