Johann Leonhard Raab, Radierer
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Friedrich Felsing, München, Drucker
Peter Kaeser, Verleger

"MADONNA DI TEMPI." / Madonna Tempi, 1881

In: "Die K. Bayer. Gemälde-Galerie Pinakothek München", München 1881, Tafel 43

Das Gemälde Madonna Tempi entstand am Ende von Raffaels Aufenthalt in Florenz um 1507/08 und zeigt die Gottesmutter in Halbfigur mit dem Christuskind, welches sie zärtlich in ihren Armen hält und an ihr Gesicht schmiegt. Das Werk zählt zu Raffaels reifsten Leistungen seiner Florentiner Zeit, in welchen er das Gestaltungselement der Farbe zu größerer Eigenständigkeit entfaltete und durch das Chiaroscuro lineare Modellierungen vermied.(Anm. 1) 1808 entdeckte der Gallerieinspector der wittelsbachischen Sammlungen Johann Georg von Dillis das Gemälde während einer Italienreise in Florenz und empfahl es König Ludwig I. zur Erwerbung. Dieser konnte das Werk jedoch erst 1828 von dem Marchese Tempi in seine Sammlung aufnehmen. (Anm. 2) Raffaels Werk war wiederholt Vorbild für Kupferstiche, wie beispielsweise für jene Auguste Gaspard Louis Desnoyers (1779-1857) und Samuel Jesis (1788-1853).(Anm. 3)
Johann Leonhard Raab bedient sich in seiner Radierung nach der Madonna Tempi einer weitgehend an der akademischen Linienmanier orientierten Zeichenweise. Das Inkarnat der Figuren ist mit gleichmäßigen Parallel- und Kreuzschraffuren gestaltet, die das Volumen der Körper plastisch modellieren und zarte Tonnuancen angeben. In den Partien, auf denen Glanzlichter liegen, löst Raab das Liniensystem in Strichkürzel und Punktierungen auf. Auch den Hintergrund prägt eine homogene, auf Horizontalen und Diagonalen beruhende Linienführung.
Als Reproduzent der Madonna Tempi machte sich Raab bereits in den 1870er Jahren einen Namen in der Kunstwelt. Nach etwa sieben Jahre andauernder Arbeit erschien 1875 im Münchener Bruckmann-Verlag Raabs Kupferstich nach demselben Vorbild, der in der Kunstkritik als „Meisterwerk edelster Grabstichelarbeit“ (Anm. 4) gewürdigt wurde. (Anm. 5) Raab nahm seine Arbeit an dem Kupferstich 1867 auf und fertigte hierfür eigens eine Aquarellkopie nach dem Original an. (Anm. 6) Wie in der Radierung modelliert Raab auch in der früheren Arbeit die Körperformen mit geschwungenen Parallel- und Kreuzschraffuren und gibt durch die spitz zulaufenden Linien nuancierte Schattenwerte an. Zudem nutzt der Künstler in den lichten Partien Punzen, mit denen er das Liniensystem auflöst und zarte Tonübergänge erzeugt. Insofern erscheint die Ausführung der Radierung entschieden von dem früheren Grabstichelblatt geprägt zu sein.(Anm. 7)


Jakob Luckschewitz


1 Vgl. Oberhuber, Konrad: Raffael. Das malerische Werk, München/London/New York 1999, S. 73, siehe außerdem Meyer zur Capellen, Jürg: Raphael. A Critical Catalogue of His Paintings, Bd. 1, The Beginnings in Umbria and Florence ca. 1500-1508, übers. v. Stefan B. Polter, Landshut 2001, S. 37 und 266-267.
2 Vgl. Alte Pinakothek. Italienische Malerei, Best.-Kat. Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, hrsg. v. Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Ostfildern 2007, S. 194.
3 Siehe hierzu Raffael und die Folgen. Das Kunstwerk in Zeitaltern seiner graphischen Reproduzierbarkeit, Kat. Graphische Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart, hrsg. v. Corinna Höper, Ostfildern-Ruit 2001, S. 298.
4 Lübke, Wilhelm: Raffael´s Madonna di Tempi, gestochen von J. L. Raab, in: Kunstchronik 10 (1875), Sp. 337.
5 Apell, Aloys: Handbuch für Kupferstichsammler oder Lexicon der vorzüglichsten Kupferstecher des XIX. Jahrhunderts, welche in Linienmanier gearbeitet haben sowie Beschreibung ihrer besten und gesuchtesten Blätter; zumeist mit Angabe des Formates der Kupferstiche und namentlich ihrer Abdrucksverschiedenheiten, der Verleger, Laden-, Handels- und Auctionspreise in den bedeutendsten Kunstversteigerungen neuerer Zeit, Leipzig 1880, S. 344.
6 Vgl. Vermischte Kunstnachrichten, in: Kunstchronik 2 (1867), S. 147.
7 Mit diesem Aspekt befasst sich der Verfasser ausführlicher in seiner Dissertation Radierung und Reproduktionsgrafik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Diskussion über druckgrafische Techniken im deutschen Sprachraum.

Details zu diesem Werk

Radierung, Chine-collé 200mm x 144mm (Bild) 375mm x 272mm (Blatt) 380mm x 285mm (Platte) 667mm x 506mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-1905-103-43 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh.

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback