Johann Leonhard Raab, Radierer
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Friedrich Felsing, München, Drucker
Peter Kaeser, Verleger

"SAINTE FAMILLE." / "DIE HEIL. FAMILIE." / Die Hl. Familie aus dem Hause Canigiani, 1881

In: "Die K. Bayer. Gemälde-Galerie Pinakothek München", München 1881, Tafel 37

1691 schenkte Cosimo III. de’Medici dem in Düsseldorf residierenden Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz ein prachtvolles Gemälde Raffaels. Es war Teil der Mitgift seiner Tochter Anna Maria Luisa, wodurch erstmals überhaupt ein authentisches Gemälde Raffaels nach Deutschland gelangte. Auf Erbschaftswegen kam das Gemälde 1806 nach München, wo es heute einen der Glanzpunkte der Alten Pinakothek bildet.
Das laut Vasari für den Florentiner Domenico Canigiani ausgeführte Werk zählt zur Gruppe der frühen Madonnen des Künstlers, die dieser 1504–1508 während seines Aufenthalts in der Stadt am Arno schuf. Sowohl die plastische Gestaltung der Figuren als auch die Erschließung der räumlichen Tiefe lassen Einflüsse von Raffaels Vorbildern Fra Bartolommeo und Leonardo da Vinci erkennen. Diese Charakteristika machen eine Entstehung um 1506/07 wahrscheinlich. (Anm. 1)
Die Komposition zeigt die Heilige Familie mit dem Johannesknaben und seiner Mutter Elisabeth in einer weiten, lieblichen Landschaft mit Siedlungen im Hintergrund. (Anm. 2)
Raffaels pyramidale Komposition war bereits 1560 durch Giulio Bonasone reproduziert worden. (Anm. 3) Dieser griff wohl auf eine nicht mehr nachweisbare Vorstudie Raffaels für das Gemälde zurück. Verstärkte Aufmerksamkeit erhielt das Werk aber erst als Bestandteil der Münchner Sammlung. Im frühen 19. Jahrhundert veröffentlichte etwa Ferdinand Piloty eine Gesamtkomposition und mehrere Kopfstudien, allesamt als Lithographien. (Anm. 4) In den frühen 1880er Jahren setzte dann Johann Leonhard Raabs Radierung einen wichtigen Akzent. Diese Reproduktion gibt die Komposition sehr präzise wieder, wobei es Raab auch gelingt die Tonnuancen in adäquate Hell-Dunkelwerte umzusetzen. (Anm. 5) Nicht wiedergegeben sind allerdings mehrere noch auf Bonasones Stich erkennbare Engelsköpfe im Himmelsbereich (vgl. Inv.-Nr. 21419a und 21419b). Sie waren während der Düsseldorfer Zeit übermalt worden und sind erst seit einer aufwändigen Restaurierung in den frühen 1980er Jahren wieder sichtbar. (Anm. 6)
Johann Leonhard Raab zählte zu den profiliertesten deutschen Reproduktionsgraphikern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er arbeitete zunächst vorwiegend als Kupferstecher, um sich später – hierin durchaus einem allgemeinen Trend folgend – verstärkt der Radierung zuzuwenden. Für seine hohe Wertschätzung spricht, dass er von 1869 bis 1895 als Leiter der Kupferstecherschule an der Münchner Akademie tätig war.
Die Heilige Familie aus dem Hause Canigiani erschien als Teil des opulenten Prachtwerks Die K. Bayer. Gemälde-Galerie Pinakothek München. Sämtliche darin enthaltenen Radierungen nach so unterschiedlichen Meistern wie Tizian, Rembrandt oder Murillo stammen von Raab, der damit seine enorme Vielseitigkeit unter Beweis stellte. Die von dem seit 1879 in München tätigen Kunsthändler und -verleger Peter Kaeser herausgegebene Sammlung „zählt zu den herausragenden radierten Galeriewerken des späten 19. Jahrhunderts.“ (Anm. 7)
David Klemm

LIT (Auswahl): Le Blanc 3 (1856), S. 265, Nr. 3

1 Meyer zur Capellen 2001, S. 38 und S. 227-232.
2 Die Identifizierung der älteren Frau mit Elisabeth ist nicht unumstritten. Jones/Penny 1983, S. 37 sehen in dieser Person eher die Hl. Anna.
3 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 187, Nr. X.1.
4 Vgl. Höper 2001, S. 296.
5 Der Autor dankt Jakob Luckschewitz, Kiel, für vielfältige Hinweise zu Raabs Reproduktion und dem dazu gehörenden Galeriewerk. J. Luckschewitz befasst sich in seiner Dissertation mit dem Thema Radierung und Reproduktionsgrafik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Diskussion über druckgrafische Techniken im deutschen Sprachraum ausführlich mit Raabs Galeriewerk (eine Online-Publikation der Dissertation ist für 2022 vorgesehen).
6 Sonnenburg 1983.
7 Freundlicher Hinweis von Jakob Luckschewitz, Kiel.

Details zu diesem Werk

Radierung, Chine-collé 278mm x 224mm (Bild) 362mm x 274mm (Blatt) 375mm x 284mm (Platte) 667mm x 507mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-1905-103-37 Sammlung: KK Druckgraphik, Deutschland, 19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback