Charles Clément Bervic, Stecher
nach Jean Baptiste Wicar, Zeichner
nach Raffael (Werkstatt), Maler, Erfinder
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Imprimerie de Gillé, Drucker
Louis Joseph (padre) Masquelier, Verleger

Der Hl. Johannes in der Wüste / "SAINT JEAN AU DÉSERT", 1792 (vollendet 1791)

In: Mongez, Antoine / Wicar, Jean Baptiste: Tableaux, Statues, Bas-Reliefs et Camées de la Galerie de Florence, et du Palais Pitti, Bd. 2, Paris 1792, (Bd. 1, Tafel 94 der Hamburger Bindung)

Das Gemälde mit dem in jugendlicher Nacktheit fast prätentiös in der Landschaft sitzenden Johannes dem Täufer entstand um 1518/20 im Auftrag des Kardinals Pompeo Colonna. Dieser schenkte es seinem Florentiner Leibarzt Jacopo da Carpi. Später gelangte es in den Besitz der Medici und bildete lange Zeit einen wichtigen Teil der Tribuna, jenem Ort in den Uffizien, in dem seit dem späten 16. Jahrhundert zahlreiche Spitzenwerke der Medici-Sammlung wie Heiligtümer präsentiert werden. Lange Zeit galt das Gemälde als eigenhändiges Werk Raffaels. Inzwischen wird vor allem der Entwurf für ihn reklamiert, während die Ausführung zwischen Raffael und seiner Werkstatt und dabei vor allem Giulio Romano diskutiert wird. (Anm.1)

Die ehemals besonders hohe Wertschätzung des Gemäldes spiegelt sich zwar in gemalten Kopien, aber keinesfalls in einer größeren Anzahl an graphischen Wiedergaben. Zwar hatte die Komposition schon früh durch einen Holzschnitt Verbreitung gefunden (Anm. 2) , doch blieben detailreichere Reproduktionen lange Zeit die große Ausnahme. (Anm. 3) Erst im 18. Jahrhundert steigert sich das Interesse an dem Gemälde, ohne aber mit anderen prominenten Werken des Meisters mithalten zu können.

Die wohl bedeutendste Wiedergabe stammt von Charles Clément Bervic, dessen Kupferstich 1792 im zweiten Band der Publikation Tableaux, Statues, Bas-Reliefs et Camées de la Galerie de Florence, et du Palais Pitti erschien. (Anm. 4) Dieses ambitionierte Unternehmen stellte zwischen 1789 und 1807 in vier Bänden bzw. 48 Lieferungen à 4 Blatt den herausragenden Florentiner Kunstbesitz, vornehmlich jenen der Medici vor Augen. Spiritus Rector des Unternehmens war Jean-Baptiste Wicar, der als Schüler Jacques-Louis Davids 1785 nach Italien gelangt war. Bis 1793 fertigte er in Florenz zahlreiche vorzügliche Zeichnungen nach Gemälden, Statuen und Gemmen als Vorlagen für das vierbändige Prachtwerk an. Wicar erlangte als Kunstkommissar Napoleons kurz darauf traurige Berühmtheit, um schließlich als geschätzter Maler in Rom zu leben.

Die graphische Umsetzung der Zeichnungen leiteten erfahrene Graphiker wie Jacques Lacombe und Louis-Joseph Masquelier, die auch als Verleger agierten. Sie arbeiteten mit vorzüglichen Reproduktionsgraphikern – wie etwa Bervic – zusammen. Dieser war 1770 in Paris bei Johann Georg Wille, dem wohl in dieser Epoche herausragenden Lehrer für Kupferstich, ausgebildet worden. Bervics Laufbahn verlief glanzvoll und reich an Auszeichnungen bis hin zu seiner Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion im Jahr 1819.

Bervics Interpretation des Johannes weist ihn als einen konturbetonten, eher harten Stecher aus. Dadurch wird die von Leonardo beeinflusste samtige Malweise nicht adäquat umgesetzt. Höchst versiert ist Bervics differenzierte Wiedergabe von Stofflichkeiten – man beachte etwa das Fellgewand, die Pflanzen oder die Oberfläche des Wassers. (Anm. 5)

Es ist bemerkenswert, dass der Johannes zusammen mit zwei Kameen auf einem Blatt gedruckt wurde, was eine in der Raffael-Rezeption höchst ungewöhnliche, aber in der Edition Wicars häufig anzutreffende Kombination darstellt. (Anm. 6)

Das vierbändige Prachtwerk mit den Florentiner Kunstschätzen zählt hinsichtlich Größe und Qualität zu den wichtigen Galerie-Publikationen jener Epoche. Es führte nachdrücklich vor Augen, welch besonders reichen Bestand an Werken Raffaels die Medici zusammengetragen hatten.
David Klemm

IT (Auswahl): vgl. Apell 1880, S. 56, Nr. 1 II (von II); Inventaire du Fonds Français II, S. 473, Nr. 10; vgl. Höper 2001, S. 267, Nr. C 17.3 (mit älterer Lit.)

1 Zum Gemälde und seiner Geschichte siehe. Meyer zur Capellen 2005, S. 235– 239, Nr. A 4; vgl. Ausst.-Kat. Rom 2020a, S. 252–253, Nr. V.7; dort wird Raffael als alleiniger Maler genannt; vgl. dort auch die Debatte der Zu- und Abschreibungen, bei denen – nach bisherigem Verlauf – eine nochmalige Wendung nicht ausgeschlossen scheint.
2 Dieser Holzschnitt galt lange Zeit unbestritten als Arbeit Ugo da Carpis. Neuere Forschungen stellen dies in Frage. Als möglicher Künstler wird Niccolò Boldrini diskutiert; Takatahake 2015, S. 175–176.
3 Vgl. die Angaben bei Höper 2001 und Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 221, Santi X. 4 Bd. 1: 1789; Bd. 2: 1792; Bd. 3: 1802; Bd.
4: 1807. Wicars Werk befindet sich in der Bibliothek der Kunsthalle in einer anders gebundenen, zweibändigen Ausgabe. Das Blatt ist zudem als Einzelblatt im Bestand des Kupferstichkabinetts vorhanden; Inv.-Nr. 20300b.
5 Vgl. Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 221.
6 Jedes zweite Blatt zeigt eine ganzseitige, zumeist jedoch zwei halbseitige Abbildungen. In letzterem Falle häufig oben eine Darstellung nach einem Gemälde und darunter eine Abbildung nach einer antiken Gemme oder Kamee, seltener auch in beiden Fällen Antiken. Die zwischen den Abbildungen eingebundenen Blätter bieten eine kurze Beschreibung der vorangestellten Abbildungen.

Details zu diesem Werk

Kupferstich 230mm x 189mm (Bild) 295mm x 300mm (Platte) 484mm x 326mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-1863-85-517-I-94 Sammlung: KK Druckgraphik, Frankreich, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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