Pietro Aquila, Stecher
nach Carlo Maratta (Maratti), Zeichner
Gian Giacomo de' Rossi, Verleger

Monument zu Ehren Raffaels mit den trauernden Personifikationen der Malerei, Skulptur und Architektur, 1675

In: "IMAGINES VETERIS AC NOVI TESTAMENTI [...]", Rom 1675, Frontispiz

Der 1675 von dem bedeutenden römischen Verleger Gian Giacomo de’Rossi veröffentlichte Kupferstich mit dem Monument zu Ehren Raffaels ist das Frontispiz eines des Christina von Schweden auf dem Titelblatt gewidmeten umfangreichen Tafelbandes, der neben dem vorliegenden Blatt eine Reproduktion des von Raffael gemalten Jesaja-Freskos in der römischen Kirche Sant’Agostino von dem Kupferstecher Cesare Fantetti (vgl. Inv-Nr. 2003-11) sowie 52 weitere von Fantetti und Aquila gestochene Wiedergaben der von der Raffael-Werkstatt in den Loggien des päpstlichen Palastes im Vatikan ausgeführten Fresken enthält. (Anm. 1)
Die gezeichnete Vorlage für Aquilas Stich stammte von dem römischen Barockmaler Carlo Maratta, dessen Begeisterung für die Werke Raffaels bekannt ist, und hat sich im Pariser Louvre erhalten. Die komplexe Komposition wirkte noch im 18. Jahrhundert auf den jungen deutschen Künstler Anton Raphael Mengs, der in Rom aus Verehrung für Raffael zu Schulungszwecken eine gezeichnete Kopie des Aquila-Stichs nach Maratta angefertigt hat. (Anm. 2)
Im Zentrum des Blattes steht eine Büste Raffaels, die von den trauernden weiblichen Personifikationen der stehenden Malerei links, der stehenden Skulptur – darüber in der Luft die Personifikation der Fama, des Ruhmes, die der Büste Raffaels eine Lorbeerkrone aufsetzt – und der vorn sitzenden Architektur links umgeben ist. Die wichtigste Stellung innerhalb der trauernden Künste kommt zweifellos der Malerei zu, die auf der linken Seite allein und dadurch wesentlich größer ins Bild gesetzt wurde. Die von Maratta gezeichnete Büste Raffaels ist eine getreue Wiedergabe derjenigen von Pietro Paolo Naldini gearbeiteten und von Maratta entworfenen und finanzierten, die 1674, also erst kurz vor dem Stich Aquilas von 1675, am Grabmal des Künstlers im römischen Pantheon ihre Aufstellung fand (vgl. Inv-Nr. kb-1915-642-38). Marattas Allegorie und der Stich stehen in direktem Zusammenhang mit der Aufstellung dieser Büste am Grab Raffaels, die Maratta ab 1661 selbst – zusammen mit einer zweiten für das Grab von Agostino Carracci – im Pantheon initiiert hatte. (Anm. 3) Zur Aufstellung der Raffael-Büste links neben der Ädikula, die die Wünsche Raffaels mit der ursprünglichen Aufstellung der Madonnenstatue von Lorenzetto respektierte, ließ Maratta neben der älteren, von Pietro Bembo verfassten Inschrift, die er auch in dem von ihm entworfenen und gestochenen Raffaelbildnis mit aufnahm (Anm. 4) , eine weitere Inschrift am Grab anbringen, deren Wortlaut auf der großen Schrifttafel des Stiches zu lesen ist („VT. VIDEANT. POSTERI […]“). Giovanni Pietro Bellori, aus dessen Feder die genannte Inschrift stammt, überliefert in der von ihm verfassten Biographie Marattas zur Motivation der Hommagen an Raffael und an Annibale Carracci, dass er die sterblichen Überreste („ceneri“) der beiden großen Künstler im Pantheon damit zu Ehren gedachte. (Anm. 5)
In Marattas allegorischer Komposition finden sich neben dem Porträt Raffaels weitere Anlehnungen an Werke des Urbinaten. (Anm. 6) So zeigt der links neben der Personifikation der Malerei stehende Putto Bezüge zu den Engeln in der Sixtinischen Madonna (vgl. Inv-Nr. 15106) und die rechts im Profil zu sehende, dem verehrten Künstler physisch am nächsten befindliche Personifikation der Skulptur physiognomische Ähnlichkeit mit der Mutter des mondsüchtigen Knaben in Raffaels Spätwerk der Verklärung Christi (Transfiguration Christi) (vgl. Inv-Nr. 19356). Durch diese formalen Zitate und seine regen Aktivitäten rund um die Grabstätte Raffels im Pantheon versuchte Maratta natürlich auch sich selbst mit dem unvergleichlichen Namen und Ruhm des göttlichen Urbinaten zu verbinden, was ihm auch gelang, ohne dass er dessen künstlerischen Genius je erreichen konnte, auch wenn er ein respektables malerisches Werk hinterlassen hat.
Alle intellektuellen und formalen Inspirationen Marattas für die von ihm propagierte Sicht auf Raffael gehen auf das Programmbild der Accademia di San Luca Der Evangelist Lukas malt die Madonna in Anwesenheit Raffaels von Federico Zuccari zurück, das den höchsten Schutzpatron und den größten Lehrer der römischen Akademie in einem Bild vereint (vgl. Inv-Nr. 2375). Mit seinem zugleich in der Art barocker Papstdenkmäler wie dem von Maratta entworfenen Grab Innozenz’ XI. (Anm. 7) und der Künstlergrabmäler der Zeit gestalteten allegorischen Ruhmesblatt (Anm. 8) , das selbst als fiktives Grabmal in Papierform gedacht ist, huldigte Maratta nicht nur dem großen Künstler des frühen 16. Jahrhunderts der Accademia di San Luca, deren Principe Maratta seit 1664 war, sondern verbreitete auch seine eigene Idee von der Kunst der Malerei. Diese hatte für ihn allein dem klassischen Ideal eines Raffael und in dessen späterer Nachfolge auch eines Annibale Carracci verpflichtet zu sein.
Die von Aquila gestochene Komposition Marattas steht nicht zufällig als Frontispiz einer Folge von Kupferstichen nach den Fresken Raffaels in der Farnesina vor, da der Künstler, neben seiner allgemeinen Parteinahme für Raffael als Grundpfeiler der Kunst, diese Fresken 1701/02 auch als erster restauriert hat. (Anm. 9)
Andreas Stolzenburg

LIT (Auswahl): Ost 1965, S. 281–298, mit Abb. 2; Mena Marques 1990, S. 551–
552; Höper 2001, S. 455, Nr. G 17.2; vgl. Ausst.-Kat. Rom 2020c, S. 73–75, Nr. 12
(Beitrag Michela di Macco)

1 Taf. 1–6 und 44 sind von Fantetti, die restlichen von Aquila ausgeführt; Hamburger Kunsthalle, Bibliothek, Inv.-Nr. kb-1863-85-138-1 bis 53.
2 London, British Museum. Zu Mengs’ Motivation Marattas Allegorie zu kopieren siehe ausführlich Ost 1965, S. 281–298, mit Abb. 1 auf S. 282. Marattas Pariser Vorzeichnung war Ost 1965 (vgl. S. 286) und auch noch Mena Marques 1990 (vgl. S. 551) nicht bekannt.
3 „Della continua venerazione, che avevo avuto alla memoria per Raffaello e d’Annibale“; zit. nach Ost 1965, S. 285. Das Grab Annibale Carracis befindet sich rechts neben dem Raffaels. Maratta schuf auch ein Gedenkblatt zur Aufstellung der Carracci-Büste; Ost 1965, S. 286, Anm. 19.
4 Inv.-Nr. 63445. Der Stich diente als Frontispiz zu Giovanni Pietro Belloris Descrizione delle immagini dipinte da Rafaelle d’Urbino nelle camere del Palazzo Apostolico Vaticano, Rom 1695; Zum Hamburger Exemplar siehe https://onlinesammlung.hamburger-kunsthalle.de/de/objekt/63445 (letzter Aufruf: 24. 3. 2021); Ausst.-Kat. Göttingen/Rom 2015, S. 200–201, Nr. 29 (Beitrag Michael Thimann).
5 „L’istesso Carlo [Maratta; Anm. d. Verf.] sempre ossequioso al nome, ed all’opere di Raffaelle e di Annibale [Carracci; Anm. d. Verf.], lo mossero ancora ad onorare le loro ceneri, ed eternare le loro memorie nel famoso Pantheon.“; Bellori 1732, S. 68.
6 Dazu ausführlich Mena Marqués 1990, S. 541–564.
7 Ost 1965, S. 186, Abb. 6, S. 295, Anm. 7.
8 Zur ikonographischen Verbindung der Komposition Marattas zu Grab- und Künstlerdenkmälern des Barock und zur weiteren Ausdeutung und Beschreibung der Personifikationen Malerei, Skulptur und Architektur und Fama siehe Ost 1965, S. 289–291.
9 Dazu Varoli-Piazza 1990, S. 565–585

Details zu diesem Werk

Kupferstich und Radierung 311mm x 390mm (Platte) 352mm x 441mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-1863-85-138-2 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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