Giovanni Lanfranco, Radierer
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio
Raffael (Werkstatt), Maler
Michael Colyn, Verleger
Giovanni Orlandi, Verleger

Gott erscheint Moses im brennenden Dornbusch, 1614 (Erstdruck 1607)

Aus: "HISTORIA DEL TESTAMENTO VECCHIO DIPINTA IN ROMA NEL VATICANO DA RAFFAELLE DI VRBINO [...]", Amsterdam 1614, Tafel 33

Nachdem im 16. Jahrhundert lediglich einige Einzelmotive der Loggien durch Druckgraphiken verbreitet worden waren, sollte sich dies im 17. Jahrhundert grundlegend ändern. Es entstanden mindestens drei komplette Serien, die zum Teil in mehreren Auflagen erschienen. Hinzu kamen weitere nicht vollendete Folgen bzw. Einzelblätter.
Am Beginn dieser erstaunlichen Entwicklung stehen Giovanni Lanfranco und Sisto Badalocchio, die 1607 die erste vollständige Wiedergabe der biblischen Szenen edierten. (Anm. 1) Die Folge umfasst neben dem Titel und einem ausführlichen Vorwort sämtliche 52 Deckenbilder, die hier aus ihren Zusammenhängen herausgelöst sind. Nicht berücksichtigt wurden in dieser Edition die eminent reichen ornamentalen Elemente der Wandgestaltung.
Badalocchio und Lanfranco widmeten die Folge ihrem Lehrer Annibale Carracci. Als dieser schwer erkrankt war, hatten sie sich intensiv dem Werk des von Annibale stets bewunderten Raffael zugewandt. Dies war vor allem in den Sommermonaten möglich, wenn der Papst sich nicht in Rom aufhielt. Als Ergebnis entstand die Folge der Loggien. Ihren finanziellen Gewinn ließen die Künstler jungen Studenten der Malerei zukommen, die fern ihrer Heimat arbeiteten. Als Technik wählten die Künstler die Radierung, was in der Vorrede mit der dadurch ermöglichten größeren Geschwindigkeit der Ausführung („per maggiore prestezza“) begründet wurde. (Anm.2) Die Wiedergabe der Szenen ist, gefördert durch die Radiertechnik, relativ frei, was vor allem bei Badalocchio auffällt. Dies führt zu einer ganz eigenen, durchaus individuellen graphischen Qualität der Folge. (Anm. 3)
Lanfranco und Badalocchio hielten sich bei ihrer Wiedergabe nicht immer genau an die in den Loggien vorgegebene Reihenfolge, so etwa im 5. Joch bei der Geschichte Jakobs. Raffaels Kompositionen sind seitenverkehrt wiedergegeben und weisen bisweilen Vereinfachungen und sogar Veränderungen auf. (Anm. 4) Dies betrifft etwa das Verhältnis der Personen zu dem sie umgebenden Raum. Teilweise geht dadurch die von Raffael austarierte Harmonie verloren, etwa wenn beim Segen Jakobs der Kopf des Patriarchen in der Reproduktion allzu nah am oberen Blattrand erscheint. Unverkennbar legten die jungen
Künstler ihr Hauptaugenmerk auf die Figuren – was prinzipiell Raffaels Intentionen entsprach. Ihnen ging es im Wesentlichen darum, unter Weglassung der von dessen Schülern hinzugefügten Farben die grundlegende ‚idea‘, die geistige Konzeption des Meisters gleichsam herauszudestillieren. (Anm. 5)
Auch bei der Reproduktion des Brennenden Dornbusches finden sich Vereinfachungen, etwa bei den Flammen, den Büschen und Bäumen sowie bei der im hügeligen Hintergrund erkennbaren Stadt. Hierdurch wird der Blick des Betrachters noch stärker als im Deckenbild auf die Figuren gelenkt. Dabei ist es spannend zu beobachten, wie Gottvater etwas an Prägnanz verliert, was etwa auch daran liegt, dass sich die im Original kraftvoll roten Flammen in der schwarzweißen Reproduktion nicht so stark abheben. Als Resultat ist Moses die Hauptperson, was Lanfranco durch Hervorhebung schattiger Partien betont. Raffaels eindrucksvolle Komposition, in der der einsame Mensch sich fürchtete, Gott anzuschauen, erfährt durch diese Akzentuierung eine hervorragende Umsetzung, vielleicht sogar eine Steigerung in der existentiellen Aussage.
Die Serie hatte offenbar großen Erfolg. Die hier vorliegende Folge wurde 1614 in Amsterdam gedruckt, nur sieben Jahre nach der Erstausgabe bei Giovanni Orlandi in Rom. Eine weitere Ausgabe stammt von C. T. Vischer aus dem Jahr 1638. Dieses ausgeprägte Interesse an den Loggien-Bildern zeigen auch weitere im 17. Jahrhundert erschienene Editionen von Orazio Borgianni 1615, Nicolas Chaperon 1649 oder Cesare Fantetti und Pietro Aquila 1675. (Anm. 6) Durch all diese Publikationen gewann die ‚Bibel Raffaels‘ gleichsam normative Kraft, die die bildliche Vorstellung biblischer Ereignisse auf Jahrhunderte prägen sollte.
David Klemm

LIT (Auswahl): Bartsch XVIII (1818), S. 347, Nr. 17; Höper 2001, S. 438, Nr. G
13.33; Bury 2001, S. 141–142, Nr. 90

1 Vgl. Höper 2001, S. 434 bei Nr. G 13 (mit älterer Lit.).
2 Inzwischen ist bekannt, dass das Vorwort wohl von Giovanni Battista Agucchi verfasst wurde. Dieser war ein Befürworter von Annibale Carracci, den er als legitimen Nachfolger Raffaels sah; Bury 2001, S. 142.
3 Leuschner 2003, S. 168.
4 Bury 2001, S. 141.
5 Leuschner 2003, S. 168.
6 Sämtliche Folgen befinden sich im Besitz von Kupferstichkabinett und Bibliothek der Hamburger Kunsthalle. Vgl. die Angaben zu den Editionen bei Höper 2001, S. 434–466.

Details zu diesem Werk

Radierung 132mm x 180mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-1863-85-137-33 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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