Giovanni Wenzel, Radierer
nach Paolo Guglielmi, Zeichner
nach Francesco Podesti, Maler, Erfinder
Tipografia Salviucci, Drucker

In der Werkstatt Raffaels / "LO STUDIO DI RAFFAELLE SANTI", 1838

In: "L' Ape Italiana delle Belle Arti [...] Anno IV", Rom 1838, Tafel 11

Der aus der Hafenstadt Ancona stammende Maler Francesco Podesti studierte, finanziell unterstützt durch seine Geburtsstadt, ab 1816 an der Accademia di San Luca in Rom bei Gaspare Landi und Vincenzo Camuccini; sein Mentor war der Bildhauer Antonio Canova. Er gilt als einer der wichtigsten italienischen Historienmaler und der einflussreiche Kunstkritiker Pietro Estense Selvatico verglich Podestis Malerei mehrfach mit der Raffaels. Podesti war 1835–37 im Auftrag des Principe Alessandro Torlonia an den Freskomalereien im (seit 1902 zerstörten) Palazzo Torlonia in Rom beteiligt, aber auch für das savoyische Königshaus in Turin war er tätig. In Turin sollte er auf Wunsch Carlo Albertos von Savoyen die Akademie der bildenden Künste leiten, was Podesti jedoch, den Verlust seiner künstlerischen Freiheit fürchtend, dankend ablehnte. Sein Hauptwerk ist zweifellos die monumentale Ausmalung der Sala dell’Immacolata Concezione, entstanden 1855–64 in den Gemächern des Vatikans, in direkter Nähe zu den Stanzen Raffaels gelegen. (Anm. 1)
Neben verschiedenen Künstler- und Literatenhistorien zu Giotto (Anm. 2), Leonardo da Vinci und Torquato Tasso, malte Podesti 1834 für den Kunstsammler Francesco Cavezzali Raffael in seinem Atelier (Anm. 3) , eine Komposition, die sich eng an Monsiaus und Bergerets frühere Bilder anlehnt und 1837 in der Mailänder Brera sowie 1840 in Rom präsentiert wurde (Anm. 4) Das sich heute in Privatbesitz im italienischen Lodi befindliche und nicht zugängliche Gemälde wurde im selben Jahr 1837 im Album di Brera von Giuseppe Sacchi mit einer Beschreibung und einer Radierung veröffentlicht. (Anm. 5) Im Jahr darauf erschien es in der hier vorliegenden Umrissradierung von Giovanni Wenzel nach Zeichnung von Paolo Guglielmi im vierten Jahrgang der renommierten Zeitschrift L’Ape italiana und fand so als Motiv weite Verbreitung. (Anm. 6) Die Radierung wurde begleitet von einer Beschreibung Giuseppe Melchiorris. (Anm. 7) Den Anstoß zu dem Gemälde hatte die Öffnung von Raffaels Grab im September 1833 gegeben, woraufhin Podesti 1834 auch einen Gedichtband mit dem Titel A Raffaello Sanzio. Versi di Francesco Podesti pittore in Rom herausbrachte. (Anm. 8)
Die gegenüber dem Gemälde seitenrichtig wiedergegebene Komposition zeigt den vornehm gekleideten Raffael im Zentrum, der mit der rechten Hand auf sein, auf einem erhöhten Podest stehendes Gemälde der Madonna di Foligno (vgl. Inv-Nr. 50032) weist. (Anm. 9) Rechts steht Sigismondo de’Conti, der Auftraggeber des Altarbildes, sichtlich beeindruckt von dem, was er zu sehen bekommt. Begleitet wird er von dem Dichter Pietro Bembo. Vorn links postierte Podesti Donato Bramante und Baldassare Castiglione, neben diesen beiden, in einen Zeichnungsfolianten blickend, stehen Giulio Romano und Perino del Vaga. Im Türdurchblick sitzt im Nebenraum zeichnend der Stecher Marcantonio Raimondi, der Raffaels Inventionen durch Kupferstiche verbreitete. Ganz rechts, an einer Staffelei arbeitend, jedoch sich kurz umblickend, steht noch ein weiterer Schüler des Meisters, Giovan Francesco Penni. Zwischen diesem und Sigismondo de’ Conti blickt man auf eine sitzende Frau mit nacktem Kleinkind, erhöht auf einem Podest, die für die Madonna di Foligno Modell gesessen hat. Der vor dem Podest sitzende junge Mann ist nicht identifiziert. Raffaels Atelier ist detailreich ausgestattet, so erkennt man links eine hohe Bücherwand, die Raffaels Gelehrtheit unterstreichen soll und rechts sowie im Nebenraum befinden sich verschiedene Bilder und Zeichnungen (u. a. ein gezeichneter Entwurf zur Vision des Ezechiel; vgl. Inv-Nr. 17327) sowie antike Büsten an der Wand und ein Gips des Apoll vom Belvedere, die alle gleichfalls Raffaels außerordentliche Bildung verdeutlichen sollen.
Podestis großformatiges Historienbild mit dem erhabenen und würdevoll agierenden Raffael ist ein gutes Beispiel für die künstlerische Intention Francesco Podestis (und mit ihm wohl aller Historienmaler des 19. Jahrhunderts), die in einer Art Nostalgie dem einst hohen Status des Künstlers und seiner Bedeutung in der Gesellschaft der Renaissance nachtrauerten. Auch wenn es in Italien mit Vincenzo Camuccini in Rom und Francesco Hayez in Mailand durchaus noch einige wenige Künstler gab, die dem Typus des Malerfürsten entsprachen, wie ihn beispielsweise später auch Hans Makart in Wien und Franz von Lenbach in München darstellten. (Anm. 10)
Andreas Stolzenburg

Barolo 1983, S. 136 (Erwähnung

1 Zu Podesti siehe Ausst.-Kat. Ancona 1996.
2 Dante im Atelier Giottos; L’Ape italiana delle belle arti 5 (1839), S. 15, Taf. VIII.
3 Podesti 1870/1982, S. 215; Barolo 1983, S. 136. Podesti fertigte nach eigenen Angaben zwei Repliken (eine für London, die andere für den Fürsten Torlonia in Rom) an, deren Verbleib allerdings unbekannt ist.
4 Ausst.-Kat. Florenz 1974, S. 73–74, Pittura di genere storico, Nr. 7, Farbtafel S. 32; Ausst.-Kat. Florenz 1984, S. 173, Nr. 7 (Beitrag Ettore Spaletti).
5 „Egli [Podesti; Anm. d. Verf.] dipinse l’Urbinate in uno que’momenti in cui tutto si rivelava il suo [di Raffaello] carattere. Egli visse per l’arte, per la diletta compagna de’suoi affetti, per i suoi amici; e noi lo vediamo appunto fra queste tre delizie della sua vita.“; Sacchi 1837, S. 35.
6 Zur einflussreichen Zeitschrift L’Ape italiana delle belle arti, die 1835 bis 1840 bei Romualdo Gentilucci in Rom erschien, siehe Miarelli Mariani 2017.
7 Melchiorri 1837, S. 14–15. Melchiorri war ein Cousin des Schriftstellers Giacomo Leopardi und ab 1838 Präsident des Museo Capitolino.
8 In seinen handschriftlichen Memorie schrieb Podesti dazu selbst: „In quest’epoca furono rinvenute le onorate ossa di Raffaello, la cui vista entusiasmò tutta Roma artistica e me, cosicchè non potei fare a meno di scrivervi una canzone, e tre canti sciolti, che furono stampati troppo in fretta; e tuttoché non corettissimi, furono inseriti nel Giornale delle Efemeridi.“; Podesti 1870/1982, S. 215. Zum Canzone siehe Podesti 1834.
9 Vgl. Maaz 2001, S. 99. Es ist nicht auszuschließen, dass Podesti, wohl über C. P. Landons Annales du Musée und ihre Umrissstiche, das Gemälde Raffael in seinem Atelier (hier ist Leo X. zu Gast) von Jean-Baptiste Mallet kannte, das dieser 1812 im Salon in Paris präsentiert hatte. Die Ähnlichkeit der beiden Kompositionen ist verblüffend; vgl. Haskell 1990, S. 172, Abb. 89.
10 Haskell 1990, S. 173.

Details zu diesem Werk

Umrisslinienradierung 208mm x 296mm (Bild) 271mm x 381mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Bibliothek Inv. Nr.: kb-1863-85-118-4-11 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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