Annika Kahrs
Strings, 2010
In der Videoarbeit »Strings« (2010) trägt ein Streichquartett das um 1800 entstandene Werk c-Moll op. 18 Nr. 4 von Ludwig van Beethoven vor. Nach dem ersten Satz tauschen die vier Musiker*innen ihre Plätze und Instrumente. Vier Mal wird gewechselt, bis jede/jeder wieder an seinem ursprünglichen Platz und Instrument sitzt. Die hohe Kunst eines Streichquartetts, vier individuelle Stimmen zu einer homogenen, harmonischen Einheit zusammenzufügen, gerät bei diesem Wechsel-Spiel mehr und mehr aus den Fugen. Souveränität und Meisterschaft auf dem eigenen Instrument weichen einer zunehmenden Verunsicherung, schiefen Tönen, Fehlgriffen... Wege einzuschlagen, die uns fremd und ungewohnt sind und die Möglichkeit des Scheiterns zulassen, sind Voraussetzungen für Neues und Außergewöhnliches. So steht für die Künstlerin ein suchender, offener Prozess eher im Zentrum von künstlerischer Kreativität als das ergebnisorientierte Herstellen eines Produkts. Für die Profimusiker*innen bedeutet dies ein Balanceakt zwischen Gelingen und Scheitern, der ihnen durch ständiges Verhandeln und Ausloten ihrer Rolle im neuen System alles abverlangt und sie durchaus auch mal in Verlegenheit bringt.
Wie einige Arbeiten von Annika Kahrs existiert auch »Strings« sowohl als Video und als Performance. Zur Eröffnung der Ausstellung »Besser Scheitern« (2013) an der Hamburger Kunsthalle haben wir die Performance aufgeführt; heute befindet sich das Video in unserer Sammlung. Die Irritation des Publikums war spürbar, als bei jedem Rollentausch die gewohnte Harmonie des Streicherquartetts mehr und mehr verloren ging und sich die Musiker*innen um Souveränität bemühten. Die Konzentration und Anspannung wich letztlich einem befreiten und befreienden Lachen.
Brigitte Kölle