Marina Abramović
Ulay

A Performance Anthology I (1975-1980). 3. Teil: 14 Performances Relation Work (1976-1980), 1976-1980

In ihren Aktionen der Jahre 1976 bis 1989 erproben Marina Abramović und Ulay körperliche und geistige Grenzsituationen. Dabei loten sie die vielfältigen Möglichkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen aus: Schmerz, Verletzung, Scham und Abhängigkeit drücken sich darin ebenso aus wie Liebe, Vertrauen und Respekt. Der eigene Körper dient in den Performances als Medium und wird zur Projektionsfläche für Fragen nach Identität, der menschlichen Existenz und des sozialen Miteinanders.
Bei der Performance "Breathing In, Breathing Out" (1977) pressen Abramović und Ulay ihre Münder aufeinander und blockieren hierbei ihre Nasen mit Zigarettenfiltern, so dass sie jeweils nur den Atem des anderen einatmen können. Im Laufe der Performance, die zunächst einem innigen Kuss nicht unähnlich ist, sinkt der Sauerstoffgehalt. Die Performer beginnen zu schwitzen, ihre Körper beben vor Qual. Kurz bevor sie das Bewusstsein verlieren, lösen sie sich voneinander. Der Austausch des Atems zwischen Mann und Frau wird zu einem Bild der gegenseitigen Abhängigkeit. Sie erhalten sich gegenseitig am Leben und doch bringt ihre extreme Nähe letztlich den Tod.

In their performances from 1976 to 1989, Marina Abramović and Ulay tested their physical and mental limits in extreme situations, probing the myriad possibilities within interpersonal relationships. Pain, injury, shame and dependence are expressed here, as are love, trust and respect. Their own bodies serve as their medium in the performances, becoming projection surfaces for questions of identity, human existence and social cohesion. In the performance Breathing in, Breathing out (1977), Abramović and Ulay press their mouths together, their nostrils blocked with cigarette filters so that they are able to breathe only each other’s breath. In the course of the performance, which initially is not unlike a heartfelt kiss, the oxygen level drops. The performers start to sweat, their bodies trembling in torment. Shortly before they lose consciousness, they separate again. The exchange of breath between man and woman becomes an images of mutual dependency. They keep each other alive, and yet their extreme intimacy ultimately spells their death.
Die auf Video aufgezeichneten Performances von Marina Abramović (*1946) zeigen Ausschnitte ihrer Aktionen von 1975 bis 1980, die sie teilweise mit ihrem Partner Ulay (*1943) durchführte. In ihnen setzt die Künstlerin sich und oftmals auch das Publikum physischen und psychischen Grenzsituationen aus. Über ihren Körpereinsatz konstruiert sie ein komplexes Bild von Körper, Identität und Interaktion, das oft von einer hohen Intensität gekennzeichnet ist. In »Freeing the Body« (1976) beispielsweise tanzt Abramović über sechs Stunden rhythmisch mit nur einem schwarzen Schal über Gesicht und Kopf vor einer weißen Galeriewand zu Trommelschlägen, bis sie vor Erschöpfung zusammenbricht. Die Aktion steht in einer Reihe von Arbeiten, die den Körper als künstlerisches Material und Projektionsfläche nutzt und die Performance Art entscheidend prägte. (Luisa Fink)

3. Teil: 14 Performances Relation Work, 1976-1980
Produktion Monte Video/TBA, NL

1. Relation in Space, Venedig, 1976, S/W, Ton, 14:10 Min.
Die erste gemeinsame Performance auf der Biennale in Venedig. Vor dem Publikum gehen Abramović und Ulay aus zwei entgegen gesetzten Richtungen nackt aufeinander zu. Sie stossen im Vorbeigehen mit der Schulter aneinander und erhöhen das Tempo der Bewegungen im Laufe der 58-minütigen Performance. Zum Ende hin schlagen sie wiederholt wuchtig aneinander, bis Abramović die Kräfte ausgehen und die Performance damit beendet wird.

2. Talking about Similarity, Amsterdam, 1976, S/W, Ton, 10:50 Min.
»Am 30. November 1976 fand diese Performance in Amsterdam statt. Ulay präsentiert sich dort sitzend mit geöffnetem Mund dem Publikum und produziert einen durchgängigen Ton, bis sein Mund ausgetrocknet war und er ihn schließen mußte, somit auch der Ton aufhörte. Dann nähte er mit zwei Stichen seinen Mund mit einer Nadel sowie Bindfaden zu und blieb noch eine Weile sitzen, bevor er den Platz verließ. Abramović nahm Ulays Platz ein und beantwortete verschiedene Fragen der Zuschauer über ihre Beziehung zu Ulay. Sie bejahte die Frage, ob sie sich mit Ulay identifiziere und begründete: weil sie auch ihren Mund schließen könne. Als sie einen Fehler machte, das heißt antwortete, ohne vorher gefragt zu werden, verließ sie ebenfalls ihren Platz« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).

3. Breathing in, Breathing out, Belgrad und Paris, 1977, S/W, Ton, 11:10 Min.
»In Nahaufnahme sind ihre aufeinandergepreßten Münder zu sehen. Die Nasen sind für das Ein- oder Ausatmen mit Zigarettenfiltern verstopft. Ulay kommentiert zur Performance: ‚Ich atme Sauerstoff ein und Kohlendioxid aus’. Abramović: ‚Ich atme Kohlendioxid ein und aus’ und Ulay wiederholt Marinas Satz. Während der 19 Minuten dauernden Performance im Studenski Kulturni Centar in Belgrad, ist das Geräusch des Aus- und Einatmens laut zu vernehmen. Dies stellte den ersten Teil der Performance dar, der zweite fand im November des gleichen Jahres im Stedelijk Museum Amsterdam statt« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).

4. Imponderabilia, Bologna, 1977, S/W, Ton, 9:30 Min.
Für die Performance in der Galleria d'Arte Moderna in Bologna im Juni 1977 stellten sich Abramović und Ulay nackt im Eingang einander gegenüber. Die Besucher der Ausstellungseröffnung müssen sich zwischen beiden Körpern hindurch zwängen und entscheiden, ob sie sich dem Mann oder der Frau zuwenden wollen. Im hinteren Teil der Ausstellung befand sich folgender Text an der Wand: ‘Imponderable. Such imponderable human factors as one's aesthetic sensivity/the over-riding importance of imponderables in determining human conduct’.«

5. Expansion in Space, Kassel, 1977, S/W, Ton, 14 Min.
»Auf der documenta 6 1977 in Kassel standen Abramović/Ulay nackt Rücken an Rücken zwischen zwei mobilen Säulen, die sich wiederum zwischen zwei festen Säulen befinden. Ihre Aufgabe ist es nun von einem gemeinsamen Punkt aus, dem Mittelpunkt der beweglichen und festen Säulen, gleichzeitig gegen die mobilen Säulen mit ihrem Körper anzurennen und sie nur durch eigene Körperkraft näher an die feste Säulenkonstruktion heranzubewegen. Wie üblich starteten beide von einem gleichen Ausgangspunkt, aber Ulay gab früher auf und Marina versuchte dann, ihre Säule noch weiter zu bewegen« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).

6. Relation in Movement, Paris, 1977, S/W, stumm, 13 Min.
»... Ulay fuhr hier das Auto auf einem abgegrenzten quadratischen Platz für eine unbestimmte Zeit im Kreis. Abramović befand sich ebenfalls im Auto und gab mit Megaphon die Runden nach draußen an. Nach einer Weile zeichnete sich die Kreisform schon auf dem Platz ab und nachts beschrieben nur noch die Scheinwerferlichter den Zirkel. Insgesamt fuhr Ulay in den 16 Stunden 2226 Runden. Die Performance fand im September 1977 anläßlich der 10. Biennale de Paris, am Musée d'art moderne de la ville de Paris statt« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).

7. Relation in Time, Bologna, 1977, S/W, stumm, 11:40 Min.
Einen Monat nach der Bewegungsperformance in Paris führten Abramović und Ulay im Oktober 1977 eine statische Performance im Studio G7 in Bologna auf. Beide saßen für 16 Stunden unbeweglich, Rücken an Rücken, mit fest ineinander verknotetem Haar. Zur 17. Stunde wurde das Publikum eingelassen und sie saßen für eine weitere Stunde. Jede Stunde entstand eine Photographie.

8. Light/Dark, Köln, 1977, S/W, Ton, 6:10 Min.
»Abramović/Ulay sitzen sich knieend gegenüber und sind nur von zwei Lichtquellen angestrahlt. Der Hintergrund ist dunkel. Sie blicken sich an und geben sich zuerst in langsamen Rhythmus abwechselnd eine Ohrfeige, bis sie schneller werden und einer von beiden nach 20 Minuten aufhört. Die Performance wurde 1977 auf dem Kunstmarkt Köln dem Publikum präsentiert, nur für Film führten die Künstler diese ein Jahr später in Amsterdam noch einmal auf« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).

9. Balance Proof, Genf, S/W, Ton, 8:25 Min.
»Im Musée d'Art et d'Histoire Genf standen Abramović/Ulay sich nackt gegenüber, zwischen sich einen doppelseitigen Spiegel, der überlebensgroß war, so daß sie sich weder sehen noch berühren konnten, sondern nur über die Balance einen Kontakt zum jeweils anderen bekamen. Über ihre Körper wurde der Spiegel in der Senkrechten gehalten. In der 30 minütigen Live-Aktion konnten die Zuschauer um beide herumgehen und sich im Spiegel sehen. ... Dann verließ Marina plötzlich ihre Position und Ulay machte die Erfahrung, wie es ist, den Spiegel allein in seiner senkrechten Position zu balancieren. Dann ging auch er und der Spiegel fiel ohne zu zerspringen auf den Boden« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).

10. AAA-AAA, Liège, S/W, Ton, 10:20 Min.
Im Profil und in Nahaufnahme gezeigt sitzen Abramović/Ulay einander gegenüber und produzieren mit ihren Stimmen ein lang anhaltendes AAA-AAA. Im Laufe von 15 Minuten steigern sich die Töne bis zum Schrei. Die Performance ist beendet, als einem von beiden endgültig die Stimme versagt. Ursprünglich im Fernsehstudio RTB Liège aufgezeichnet, wurde die Performance ein halbes Jahr später noch einmal wiederholt.

11. Incision, Graz, 1978, S/W, Ton, 10:10 Min.
»In der Galerie H-Humanic in Graz (vom April 1978) ist an einer Wand parallel zum Boden auf halber Höhe ein Gummiband befestigt. In diesem Band steht Ulay nackt und läuft in die Mitte des Galerieraumes soweit er kommt, um dann zurückzurutschen sowie wieder von vorne zu beginnen. Marina Abramović steht parallel dazu mit Blick auf die linke Galeriewand (vom Betrachter aus), bekleidet und unbeteiligt wie eine Beobachterin auf gleicher Höhe mit dem Protagonisten, wenn er unter Körperanstrengung den maximalen Weg nach vorne gelaufen ist. ... Plötzlich springt ein Mensch aus der Reihe des Publikums und streckt Marina mit einem Karatetritt nieder. Diese dritte Person ist Teil der Performance, Abramović weiß zwar, daß er sie mit einem Tritt umstoßen wird, doch nicht, wann es passiert« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).

12. Kaiserschnitt, Wien, 1978, S/W, Ton, 6:40 Min.
»Die 38 minütige Performance fand im April 1978 im Wiener Reitinstitut aus Anlass des Internationalen Performance Festivals in Wien statt. Akteur war außer dem Künstlerduo noch ein Pferd. Dieses befand sich in der Mitte der Reithalle vor einem Spiegel und war über einen Ring am Sattel und zwei Ringe an den gegenüberliegenden Wänden, durch die ein gespanntes Seil lief, in einer Dreieckskonstruktion mit Abramović/Ulay verbunden, die sich jeweils in die Schlaufe eines Seilendes mit einem Arm eingehängt hatten. Das Paar hatte sich mit dem anderen Arm wiederum eingehakt. Jede Bewegung des Pferdes führte zur Verkürzung des Seiles und dadurch einer enormen Spannung, die die beiden fast immer auseinanderriß, obwohl sie sich nach Kräften dagegen wehrten. Dazu schreien Marina ‚I have nothing to say’ und Ulay ‘Ask anyone’« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).

13. Charged Space, New York, 1978, S/W, Ton, 8:45 Min.
»In dieser Performance, die Jane Crawford und Gordon Matta-Clark gewidmet wurde, geht es wieder um Bewegung im Raum. Diesmal haben sich Abramović/Ulay an den Händen gefasst, nach außen gelehnt und drehen sich um eine vertikale Achse. Das Tempo wird erhöht, bis die Spannung in den Armen zu hoch wird oder der Kreislauf versagt und beide auseinanderfallen. Dann dreht sich jeder einzeln im Raum jedoch ohne Orientierung und Kontrolle, da diese durch die Drehbewegung außer Kraft gesetzt wurden, zur Stimme von Abramović, die in einem bestimmten Rhythmus von Arbeitsgesängen ‚move....move...move...’ ruft. ... Die Performance endet nach 32 Minuten, als nacheinander beide zu Boden fallen. Stattgefunden hat diese vorletzte Arbeit aus ihren 14 Performances im Mai 1978 bei den European Performance Series im Brooklyn Museum, New York« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).


14. Three, Wiesbaden, 1978, S/W, Ton, 10:45 Min.
»Die in Wiesbaden bei Harlekin Art am Tag des Geburtstags von Marina und Ulay - 30. November 1978 - stattfindende Performance besteht aus drei Akteuren: den beiden Künstlern und einer Schlange. Sowohl Ulay als auch Abramović erzeugen mit einer leeren Flasche, in die sie abwechselnd für eine unbestimmte Zeit hineinpusten, einen vibrierenden Ton, der die Schlange anlockt. So muß sich das Tier entscheiden, wenn beide abwechselnd pusten. Ulay erzeugt durch einen gespannten Draht ebenfalls eine Vibration. Das Paar bewegt sich nur robbend auf dem Bauch und schlängelt sich ebenso wie die Schlange. Marina hält oftmals ihren Kopf ganz dicht an dem Schlangenkopf und blickt dieser in die Augen. Bewegt sie sich züngelnd vorwärts, rückt die Performerin langsam zurück. ... Die Performance dauerte insgesamt zwei Stunden« (Lilian Haberer, zit. nach www.museenkoeln.de/museum-ludwig).

Dirck Möllmann

Details zu diesem Werk

Farbe und S/W, Ton, VHS, PAL, 166 Min. | Colour and b&w, sound, VHS, PAL, 166 Min. Hamburger Kunsthalle, erworben 1998 Inv. Nr.: V-1998-35 Sammlung: © VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

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