Ernst Barlach
Der Einsame, 1911
Ernst Barlachs Kerzenträger bleibt trotz der erzählerischen Anmutung ein Namenloser. Zeitenthoben wirkt die männliche Gestalt, die in einen schlichten Umhang gehüllt ist. Dieser öffnet sich im Brustbereich und lässt durch den Faltenwurf eine dynamische Kreisform zwischen Kerze und Kopf entstehen. Der breite Oberkörper neigt sich kraftvoll zur Seite und lässt das Gleichgewicht des massigen Körpers auf der schmalen Basis fragil erscheinen. Die Bewegung hat ihren Ursprung im Inneren. Neugierig und furchtsam zugleich blickt der Mann ins Ungewisse. Er schaut aber nicht in die Ferne, sondern fokussiert etwas in der Nähe. Womöglich versucht er mit dem Licht, das seine Hand behutsam schützt, einen im Dunkel liegenden Weg zu erleuchten. Barlach gab hier der eigenen Grundstimmung Gestalt:
In der Abgeschiedenheit Güstrows empfand er sich als einsam Suchender. Doch reicht die Bedeutung seiner Skulptur über das individuelle Schicksal hinaus und ist ein Gleichnis dafür, dass der Mensch in der Welt unbehaust ist.
Dagmar Lott-Reschke