Caldesi & Montecchi, Fotograf
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Paul & Dominic Colnaghi, Verleger
Thomas Agnew & Sons, Verleger

Die drei Grazien / "THE THREE GRACES, BY RAFFAELLE.", 1857

Nachdem sich Raffael in den ersten Jahren seiner Laufbahn abgesehen von Porträts vornehmlich mit religiösen Themen beschäftigt hatte, wendete er sich ab etwa 1504 auch erstmals profanen Sujets zu. Hierbei gebührt dem Gemälde die Drei Grazien besondere Aufmerksamkeit, stellt es doch die wohl erste malerische Auseinandersetzung des Künstlers mit der Antike dar. (Anm. 1)
Raffaels Komposition stieß zunächst im 16. Jahrhundert auf einiges Interesse bei den Reproduktionsgraphikern. (Anm.2) Danach finden sich nur sehr wenige Beispiele, etwa ein feiner Kupferstich von François Forster aus dem Jahr 1841. (Anm. 3) Damals befand sich das Gemälde schon im Besitz von Lord Ward in London (Anm. 4), in dessen Haus dann 1857 auch erstmals eine Fotografie des Werks angefertigt wurde. Ob hierbei der Besitzerstolz von Lord Ward oder der Wunsch Prince Alberts nach einer Abbildung für seine Raphael-Collection Triebfeder waren, ist nicht feststellbar. Sicher ist aber, dass die Drei Grazien zu den ersten Gemälden in Privatbesitz zählen, die mit dem damals noch neuen Medium festgehalten wurden. Dieser Vorgang steht beispielhaft für eine seit den 1850er Jahren rasch fortschreitende Entwicklung, nach der neben Gemälden, Druckgraphiken und Zeichnungen nun auch die Fotografie als Reproduktionsmedium auftrat. Sie sollte auf lange Sicht den Sieg davon tragen.
1857 waren die technischen Möglichkeiten des neuen Mediums allerdings noch begrenzt, was vor allem Schärfe, Kontrastreichtum und die adäquate Umsetzung und Wiedergabe der Farben anbelangt. (Anm. 5) Dennoch war die Fotografie bereits so leistungsstark, dass mit ihr wesentliche Elemente der Komposition nachvollzogen werden können.
Raffael zeigte die Drei Grazien in der seit dem Altertum vertrauten Art in Vorder- und Rückansicht. Auf diese Weise konnte er sein Interesse am weiblichen Körper in einem Bild vielfältig zum Ausdruck bringen. Die Gruppe nimmt den Betrachter durch ihre Anmut gefangen. Die drei Frauen sind zwar durch ihre zarten Berührungen miteinander verbunden, sie gehen aber unverkennbar ihren eigenen Gedanken nach. Raffael gibt den wohlgeformten Körpern großen Raum, die ruhige, sich öffnende Landschaft im Hintergrund unterstützt den Eindruck von Innerlichkeit.
Unübersehbar ist der Antikenbezug und so wurde häufig eine im Dom von Siena bewahrte Skulpturengruppe der Drei Grazien als direkte Vorlage für das Gemälde angesehen. (Anm. 6) Dies trifft sicherlich prinzipiell zu, doch ist nicht auszuschließen, dass Raffael sich auch von anderen Versionen des Themas aus Antike oder Renaissance anregen ließ. (Anm. 7)
Die traditionelle Deutung als Darstellung der Drei Grazien ist weniger eindeutig als es aufgrund des in der Literatur zumeist wiederholten Titels scheinen mag. Zwar werden die drei Grazien Aglaia (die „Strahlende“), Euphrosyne (die „Frohsinnige“) und Thalia (die „Blühende“) in der Renaissance häufiger dargestellt, doch könnten die drei Frauen aufgrund der goldenen Kugeln auch die Hesperiden darstellen, wie sie Herkules die goldenen Äpfel ihres Gartens präsentieren. (Anm. 8) Eine eindeutige Zuordnung scheint allerdings unmöglich.
Mit großer Wahrscheinlichkeit bildete das Gemälde einen Teil eines zweiteiligen Ensembles, dessen andere Hälfte der in Technik und Format gut vergleichbare Traum des Ritters bildet. Denkbar ist, dass die beiden Werke als Hochzeitsgeschenk dienten. (Anm. 9)
Das Gemälde gilt seit jeher als eigenhändiges Werk Raffaels. Dagegen schwankte die Datierung zwischen den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts bis zur Florentiner Zeit des Künstlers. Inzwischen wird allgemein eine Entstehung um 1504 angenommen. (Anm. 10)
Die Fotografie stammt von dem Team Caldesi & Montecchi, das offenbar zwischen 1857 und 1867 in England zusammenarbeitete. (Anm. 11) Bekannt sind mehrere Aufnahmen der Königsfamilie in Osborne House. Zudem lassen sich neben den Drei Grazien auch zahlreiche weitere fotografische Reproduktionen nach Kunstwerken nachweisen. (Anm. 12)
David Klemm

Ruland 1876, S. 125, Nr. A.I.1

1 Öl auf Holz, 17 x 17 cm, Musée Condé Chantilly; Meyer zur Capellen 2001, S. 162–165, Nr. 15 (mit älterer Lit.); Ausst.-Kat. London 2004, S. 138–140 (Beitrag Carol Plazzotta); Farinella 2020, S. 149–151.
2 Vgl. die Aufzählung bei Meyer zur Capellen 2001, S. 165.
3 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 20404; Höper 2001, S. 253–254, Nr. C 7.1. Der Kupferstich (wohl auch unter Verwendung der Radiernadel) arbeitet die Frauenkörper deutlich detaillierter aus, als es die Malerei Raffaels tut. Dies führt zu einer Härte, die der Intention des Künstlers widerspricht. 4 Apell 1880, S. 157, Nr. 12.
5 Freundlicher Hinweis von Christoph Irrgang, Hamburg.
6 Die Gruppe befand sich bis 1502 im römischen Palast von Francesco Todeschini Piccolomini und wurde dann nach Siena gebracht, wo Raffael sie gut gesehen haben könnte; vgl. Farinella 2020, S. 149.
7 Ebd.
8 Zur Deutungsproblematik vgl. Meyer zur Capellen 2001, S. 163.
9 Ausst.-Kat. Rom 2020a, S. 487 (Beitrag Vincenzo Farinelli).
10 Meyer zur Capellen 2001, S. 162.
11 Diese Angaben stützen sich auf die Datenbank von Windsor Castle.
12 Vgl. die Angaben in der Datenbank von Windsor Castle, Prince Albert Raphael Collection: https://www.rct.uk/collection/themes/trails/prince-albert-his-lifeand-legacy/prince-alberts-raphael-collection (letzter Aufruf: 18. 5. 2021)

Details zu diesem Werk

Fotografie (Albumin) 153mm x 153mm (Bild) 240mm x 201mm (Platte) 452mm x 317mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: R-00170 Sammlung: KK Fotografie © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback