Maison Ad. Braun et Cie à Paris & Dornach, Fotograf, Drucker, Verleger
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder

Bildnis eines jungen Mannes, vor 1915

Die Interpretation des Gemäldes Bildnis eines jungen Mannes als ein Selbstportrait Raffaels, nach dem der vorliegende Pigmentdruck entstand, setzte sich seit dem 16. Jahrhundert bis weit ins 19. Jahrhundert hinein fort. Auch Passavant illustrierte die französische Ausgabe seiner Raffael-Biographie mit einem Stich nach dem vermeintlichen Selbstbildnis und beflügelte damit die Deutung; im Zusammenhang mit dem Raffael-Kult um und nach 1800 diente es als Grundlage vieler imaginierter und idealisierter Portraits des verehrten Urbinaten. Wie die handschriftliche Fremdbezeichnung auf dem Untersatzkarton zeigt, wurde es auch in die fotografische Sammlung der Hamburger Kunsthalle (damals vor allem zu Lehrzwecken angelegt) zunächst als solches eingegliedert. In der jüngeren Forschung hat sich jedoch inzwischen weitestgehend die Auffassung durchgesetzt, dass es sich möglicherweise um ein Idealbildnis ohne einen konkreten vorausgehenden Portraitauftrag handelt. Als Entstehungsdatum wird ein Zeitraum etwa zwischen 1511 und 1512 angenommen. (Anm. 1)
Die frühe Provenienz des Gemäldes kann nicht eindeutig gesichert werden. (Anm. 2) Die Brüder Adam Jerzy und Konstanty Czartoryski erwarben es 1801 aus dem Besitz der Familie Giustiniani aus Venedig. Im Zusammenhang mit politischen Unruhen nahm Jerzy es mit sich ins Exil zunächst nach Paris und zwischen 1848 und 1851 nach London, bevor es 1876 Einzug ins neu gegründete Czartoryski Museum in Krakau hielt. Das Gemälde trägt daher auch den Beinamen Czartoryski-Portrait. Während der nationalsozialistischen Besetzung hing das Bildnis eines jungen Mannes in den durch Gauleiter Hans Frank annektierten Räumlichkeiten im Wawel, jedoch verläuft sich seine Spur nach Kriegsende und es gilt bis heute als verschollen. (Anm. 3)
Aufgrund dieser tragischen Geschichte ist die Forschung seit den 1940er Jahren auf noch existierende Reproduktionen angewiesen. Neben einigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg bis zum Verschwinden des Gemäldes werden dabei unter anderem auch Farbfotografien von 1909 des Krakauer Zorza-Studios angeführt (Anm.4); jedoch findet der hier vorliegende Pigmentdruck bislang kaum oder keine Erwähnung. Dies überrascht nicht nur angesichts seiner hervorragenden Qualität und der fast malerischen Wirkung. Auch zeigt die Aufnahme das Gemälde in ausgerahmtem Zustand, wodurch die vordere Hand des Jünglings deutlich sichtbar erscheint. Während eine genaue Datierung der vorliegenden Fotografie derzeit nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, wird sie mit den entsprechenden Maßen bereits im Katalog der Firma Braun et Cie von 1913 zum Verkauf angeboten5 – ein Entstehungsdatum unmittelbar oder auch mehrere Jahre vor diesem Zeitpunkt ist also mehr als wahrscheinlich. Insofern kommt dem Pigmentdruck der Status eines wichtigen, sehr frühen Zustandsprotokolls des verschollenen Portraits zu.
Klara Wagner

LIT (Auswahl): Braun 1913, S. 220

1 1511/12, Öl auf Holz, 76,8 x 60,8 cm, Verbleib unbekannt; Meyer zur Capellen 2008, S. 94–99, Nr. 70, Farbtafel S. 56. Der Portraittypus, auf welchen Raffael sich beruft, findet sich besonders in Norditalien, beispielsweise bei Giorgione oder Tizian; jedoch ebenfalls in den Niederlanden wie beispielsweise bei Memling oder Petrus Christus; vgl. Grabski 2016, S. 218 und S. 238.
2 Angeblich soll das Gemälde nach dem Tod Raffaels zunächst im Besitz von Giulio Romano und anschließend von Federico Gonzaga gewesen sein und sich später in Modena befunden haben. Dies ist jedoch nicht gesichert; vgl. Meyer zur Capellen 2008, S. 94, Nr. 70.
3 Ebd. Zur ausführlicheren Geschichte des Gemäldes während der Kriegsjahre vgl. auch Wałek 1991, S. 206.
4 Grabski 2004, S. 215–216.
5 Braun 1913, S. 220.

Details zu diesem Werk

Pigmentdruck (Kohledruck); auf Karton fest aufgezogen 457mm x 364mm (Bild) 503mm x 398mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: R-00014 Sammlung: KK Fotografie © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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