Adriaen Valck

Stillleben mit einem Jakobsstab, 1676

In Vanitas-Darstellungen werden gewöhnlich Dinge versammelt, die den Betrachter an die Nichtigkeit des Daseins erinnern sollen. Hier sind die Anzeichen für Vergänglichkeit jedoch im Dunkel des Hintergrundes verborgen: Der Totenschädel, die Sanduhr und die erloschene Kerze sind erst auf den zweiten Blick wahrzunehmen. Im Vordergrund sieht man neben Musikinstrumenten auch Kunstwerke: Das aufgeschlagene Skizzenbuch und das gezeichnete Selbstbildnis des Malers sollen sein Leben überdauern und auch später noch von seiner Person und seinem Werk Zeugnis ablegen. Die Büsten und die Flöten erweitern das Ensemble zu einer Allegorie der Künste. Die Naturwissenschaft ist durch den Globus und den Jakobstab, einen Winkelmesser, vertreten. Das Kontobuch leitet zu den Zeichen der Vanitas über. Es verweist wie die Münzen auf das Vermögen des Künstlers, das ebenso vergänglich ist wie das Leben: ‚Vita brevis ars longa’ (Das Leben ist kurz, die Kunst währt lang).
Martina Sitt oder Gisela Hopp oder Jenns E. Howoldt
Das Stilleben mit einem Jakobsstab ist das einzige bekannte Gemälde Valcks, der seinen Namen zweimal im Kontorbuch unter den Rubriken Debit und Credit festgehalten hat. Wahl und Anordnung der Gegenstände verweisen auf Stillleben der in Haarlem wirkenden Maler Jan Vermeulen und Vincent Laurensz van der Vinne. Auf einem schräg gestellten Tisch steht die Büste eines Frauenkopfes neben einem Himmelsglobus, einem Jakobsstab2 und dem Kontorbuch. Zum festen Repertoire der Haarlemer Stillebenmaler gehören die Musikinstrumente, zwei Flöten und eine Schalmei, sowie die verlöschende Kerze, die Sanduhr und der Totenschädel als traditionelle Sinnbilder der Vergänglichkeit. Auf dem Tisch liegen ferner ein aufgeschlagenes Buch mit einer Landschaft als Illustration, unter dem ein Blatt mit dem Bildnis eines Mannes im Oval hervorragt, zwei Gipsabgüsse, Notenblätter, eine Blumenvase und einige Münzen.
Raupp vermutet, bei der Rötelzeichnung handele es sich um das Selbstbildnis des Künstlers; auf Van der Vinnes Vanitas-Stilleben von 1646 in Haarlem ist jedenfalls eine Zeichnung mit dem Porträt des Künstlers dargestellt.3 Die Frauenbüste - möglicherweise der Kopf der Flora Farnese - war ursprünglich mit einem Lorbeerkranz geschmückt.4
Grohn hat auf den mahnenden Unterton der Büsten, Bücher und Illustrationen verwiesen; wie das Kontorbuch seien sie Sinnbilder der Vergänglichkeit allen menschlichen Tuns, Künste und Wissenschaften eingeschlossen. Weniger plausibel ist der Gedanke, das Selbstbildnis des Malers »als eines Schöpfers von Eitelkeiten« sei ebenfalls Ausdruck der Vanitas-Vorstellung.5 Brusati hat dagegen das selbstreflexive Moment der Stillebenmalerei betont: Es sei der im Bildnis festgehaltene Maler, der durch seine Darstellung aller irdischen Dinge der Zeit trotze.6 Miedema sah in der Zusammenstellung von Vanitas-Symbolen und wissenschaftlichen Geräten einen Ansporn, die knappe Lebenszeit durch Studium und Gelehrsamkeit sinnvoll zu nutzen.7

Thomas Ketelsen 2001

1 Grohn 1971, S. 79.
2 Der Jakobsstab diente zum Messen des Standes der Sonne und der Sterne und wurde von den Seefahrern zur Errechnung der Zeit und der Breitengrade benutzt, s. Mörzer Bruyns 1994, S. 22; ferner Johannes Vermeer. Der Geograph und der Astronom nach 200 Jahren wieder vereint, Ausst. Kat. Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt/M. 1997, S. 58 f., Nr. 3.
3 Lw., 107,5 x 92 cm, Frans Halsmuseum, Haarlem, Inv. 295; Frans Halsmuseum, Haarlem, hrsg. v. H. P. Baard, Haarlem 1969, S. 66; ferner Bol 1982, S. 336, Abb. 293.
4 Vgl. eine Zeichnung David Baillys nach demselben Kopf einer antiken (?) Skulptur, Rijksprentenkabinet, Amsterdam, Inv.
RP-T-1883-236; s. Dutch Drawings of the Seventeenth Century in the Rijksmuseum, Amsterdam. Artists born between 1580 and 1600, bearb. v. M. Schapelhouman, P. Schatborn, 2 Bde., Amsterdam/London 1998, Bd. 1, S. 14, Nr. 25, Bd. 2, S. 16,
Abb. 25. Die Skulptur ist auch auf einem Stilleben Simon Luttichuys' von 1646 dargestellt, s. Gemar-Koeltzsch 1995, Bd. 3,
S. 618, Nr. 219/2, Abb. S. 616.
5 Vgl. Raupp 1984.
6 C. Brusati, Stilled Lives. Self-Portraiture and Self-Reflection in Seventeenth-Century Netherlandish Still-Life Paintings, in: Simiolus 20, 1990/91, S. 175 ff.
7 H. Miedema, Over het realisme in de Nederlandse schilderkunst van de zeventiende eeuw, in: Oud Holland 89, 1975,
S. 15.

Ausst.: Kunsthandelaar en verzamelaar. Vierde internationale tentoonstelling van de Confédération internationale des Négociants en Œuvres d'Art, Amsterdams Historisch Museum, Amsterdam 1970, S. 28, Nr. 60, Abb. S. 130;
Luther und die Folgen, Hamburger Kunsthalle 1983,
S. 370, Nr. 240.
Lit.: Hans Werner Grohn, Ein Vanitas-Stilleben von Adriaen Valck, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 16, 1971, S. 79-84, ferner ebd., S. 178; Hans-Joachim Raupp, Untersuchungen zu Künstlerbildnis und Künstlerdarstellung in den Niederlanden im 17. Jahrhundert (Phil. Diss. Bonn 1979), Hildesheim u. a. 1984, S. 284; Gemar-Koeltzsch 1995, Bd. 3, S. 1002; W. F. J. Mörzer Bruyns, The Cross-Staff. History and Development of a Navigational Instrument, Zutphen 1994, S. 22, Abb.

Details zu diesem Werk

Öl auf Leinwand 119.6cm x 95cm (Bild) 144.5cm x 119.5cm (Rahmen) Acquired with funds from the Camp’sche Historische Kunststiftung, 1970 Inv. Nr.: HK-794 Sammlung: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback
Weitere Werke von
Adriaen Valck