Jan Mostaert

Christus als Schmerzensmann, nach 1499/1505

Christus erscheint mit Dornenkrone und Purpurmantel als Halbfigur. Die gefesselten Arme sind vor der Brust gekreuzt, in der rechten Hand hält er den Bambusstab als Zeichen der Verspottung, in der linken Geißel und Rute. Vor der Brust hängt an einer groben Schnur ein Täfelchen, eine sog. Halsfessel, darauf ist mit rotem Siegellack ein Zettel mit der Aufschrift ECCE REX / VVESTER (»Siehe, Euer König«; Joh. 14,14) befestigt. Um das leicht geneigte Haupt schweben lichtfarbene Engel auf zinnoberrotem Grund. Die Gegenstände in ihren Händen, teilweise den arma christi entlehnt, wie Kreuz, Augenbinde, Tuch, Karaffe, Kelch und Geldsack, verweisen auf die Leidensgeschichte.2
Das Andachtsbild des Schmerzensmannes ist zu unterscheiden von einer szenischen Darstellung des Ecce Homo, der Ostentatio Christi (Panofsky), wo Pilatus den gepeinigten Christus dem Volk mit den Worten vorführt: »Sehet, welch ein Mensch« (Joh. 19,4-6).3
Mostaert hat den Schmerzensmann mehrfach gemalt, dabei aber den Ausschnitt variiert. Am nächsten steht das Bild in Verona, von Hoogewerff als das qualitativ beste der Reihe erachtet;4 Friedländer 1916 bezeichnete Inv. 761 als eine gleichwertige Replik. Eine Fassung mit geringen Abweichungen befand sich 1930 im Kunsthandel,5 eine vierte früher in der Sammlung Willet in Brighton.6 Auf Gemälden in Burgos7 und London, dieses heute als Kopie im Stil Mostaerts bezeichnet,8 sind die schwebenden Engel weggelassen. Christus hält dort den Bambusstab und die Rute, jedoch keine Geißel, auch fehlt die Halsfessel. Ein Rundbild zeigt schließlich nur das dornengekrönte Haupt.9
Das Motiv des dornengekrönten Christus
ohne Wundmale und Passionsattribute (Salvator Coronatus) war in den südlichen Niederlanden durch Dirck Bouts weit verbreitet. Ein Kupferstich von Israhel van Meckenem und ein Gemälde von Jean Heys in Brüssel sind frühe Beispiele für die Ausbildung des Ecce-Homo-Typus als Andachtsbild.10 Geertgen tot Sint Jans, ebenfalls in Haarlem tätig, hat dieses Motiv aufgegriffen; auch in seiner Heiligen Nacht in Berlin findet sich die schwebende Engelschar. Mostaert wird dessen Werk gekannt haben. Sein Brüsseler Oultremont-Triptychon mit der Dornenkrönung Christi, in die Zeit zwischen 1510 und 1520 zu datieren,11 mag als Anhaltspunkt für die zeitliche Einordnung von Inv. 761 dienen. Die dendrochronologische Untersuchung läßt ein Datum ab 1505 zu. Arasse vermutet eine Entstehung um 1515.12
In einem 1523 aufgestellten Inventar der Sammlung Margarethes von Österreich wird ein Ecce Homo von Moestaert verzeichnet. Die Beschreibung trifft sowohl auf das Bild in Verona wie auch auf Inv. 761 zu.13 Eichberger weist auf die ausgeprägte Marien- und Passionsfrömmigkeit der Regentin hin. Im Sinne der devotio moderna bot die Darstellung dem Betrachter die Möglichkeit, sich angesichts der arma christi die Leidensgeschichte des gepeinigten Christus zu vergegenwärtigen.14

Thomas Ketelsen 2001

1 Laut Friedländer 1905, S. 518.
2 R. Berliner, Arma Christi, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst 3. F., 6, 1955, S. 35-152; R. Sukale, Arma Christi, in: Städel-Jahrbuch N. F., 6, 1977, S. 177-208.
3 Vgl. Lexikon der Christlichen Ikonographie, hrsg. v. E. Kirschbaum, 8 Bde., 2. Aufl., Freiburg u. a. 1994, Bd. 1, Sp. 558-561, mit Hinweis auf Inv. 760, Sp. 560.
4 Holz, 44 x 34 cm, Museo di Castel Vecchio, Verona; Friedländer, Bd. 10, 1973, S. 70, Nr. 18, Taf. 14.
5 Holz, 46 x 30,5 cm; Kunsthandlung Goudstikker, Catalogue de la Collection Goudstikker, exposé à Amsterdam, April-Mai 1930, Nr. 37 (nicht bei Friedländer).
6 Foto RKD (ohne Angabe des Bildträgers und der Maße).
7 Holz, 40 x 30 cm, Museo Arqueologico Provincial, Burgos; L'art Flamand dans les Collections Espagnoles, Ausst. Kat. Brügge 1958, S. 66 f., Nr. 34; Friedländer, Bd. 10, 1973, S. 121, Nr. 17 (oder 18).
8 Holz, 30,5 x 20,5 cm, National Gallery, London, Inv. 3900; National Gallery. Illustrated General Catalogue, 2. Aufl., London 1986, S. 425, Abb.
9 Holz, 27,7 cm (im Durchmesser), Verbleib unbekannt; Friedländer, Bd. 10, 1973, S. 70, Nr. 15, Taf. 14.
10 Nach Panofsky überlagern sich im Ecce Homo-Motiv zwei tradierte Darstellungsformen: der Salvator Mundi und der Schmerzensmann, der ohne Wundmale gezeigt wird.
11 Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel, Inv. 3466; Katalog Brüssel 1984, S. 204 f.; Friedländer, Bd. 10, 1973, S. 68, Nr. 1, Taf. 1 u. 3; vgl. ebd., S. 69, Nr. 11, Taf. 11.
12 Vgl. Panofsky 1997, S. 172, Anm. 66.
13 Dagmar Eichberger, Saarbrücken, briefl. Mitt. vom 9. 9. 1998: »Item, ung aultre tableau de Ecce homo, ung escripteau pendu au col et petiz ainges en chiefz, tenant en une main ung fouet et verges et en l'autre uns canne, le fond rouge«. Paris, Bibliothèque Nationale, ms. Cinq Cents Colbert 128, fol. 71r: Inventar des mobilen Haushalts der Margarethe von Österreich vom
9. 7. 1523. Dasselbe Gemälde wird auch in einem Teilinventar des mobilen Haushalts vom 20. 4. 1524 verzeichnet; s. H. Zimmermann, F. Kreyczi, Urkunden und Regesten aus dem K. u. K. Reichs-Finanz-Archiv, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses 3, 1885,
S. XCVIII, Nr. 116. Vermutlich identisch mit der Ecce Homo-Tafel, die Margarethe ins Kloster von Brou mitgenommen hat; die entsprechende Empfangsbestätigung lautet: »Item, tabula in qua est depicta ymago ipsius Domini Nostri ad formam Ecce homo, que verba sunt pendentia in ejus collo et in alia manuum tenet flagellum et in altera harundinem, et fondus ejus colore rubeo depictus«; M. Bruchet, Marguerite d'Autriche. Duchesse de Savoie.
14 Briefl. Mitt. vom 9. 8. 1998, mit Hinweis auf eine Studie zu den Inventaren Margarethes in Vorbereitung.

Lit.: Max J. Friedländer, Neues für Jan Mostaert, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 27, 1905, S. 518, Nr. 4; Sander Pierron, Les Mostaert, Brüssel 1911, S. 151; Max J. Friedländer, Von van Eyck bis Bruegel. Studien zur Geschichte der Niederländischen Malerei, Berlin 1916, S. 149 f.; Friedländer, Bd. 10, 1931, S. 121, Nr. 18a, Taf. X; Erwin Panofsky, Jean Hey's »Ecce Homo«. Speculations about its Author, its Donor, and its Iconographie, in: Bulletin des Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique 5, 1956, S. 116 f., 118, Abb. 23; Katalog 1956, S. 112; Katalog 1966, S. 117; Friedländer, Bd. 10, 1973, S. 70, Nr. 18a, Taf. 14; ders., Von van Eyck bis Bruegel, Neuausgabe, hrsg. v. Günter Busch, Frankfurt/M. 1986, S. 151; Erwin Panofsky, L'Ecce Homo de Jean Hey, in: ders., Peinture et Dévotion en Europe du Nord à la fin du Moyen Âge, hrsg. v. Daniel Arasse, Paris 1997, S. 120 f., Anm. 66.

Details zu diesem Werk

Eichenholz; Tafel gedünnt und ... 44.3cm x 33.5cm (Bild) 67cm x 56.5cm (Rahmen) Treuhandvermögen der Freien und Hansestadt Hamburg, vormals Stiftung Siegfried Wedells Inv. Nr.: HK-761 Sammlung: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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