Giovanni Antonio Bazzi, gen. Sodoma

Die Heilige Familie mit dem Johannesknaben

Vor einer bergigen Landschaftskulisse mit einem Hafen auf der rechten, kniet Maria auf der linken Seite des hochformatigen Bildes. Rechts, leicht vom Bildrand überschnitten, hockt Joseph, ihr in ungewöhnlicher Haltung und mit ebensolchem Blick zugeneigt. Seine Rechte scheint nach zwei besonders kleinen Figuren im rechten Bildvordergrund ausgestreckt, dem Christuskind und Johannes dem Täufer. Hinter und neben Maria rahmen zwei belaubte, hohe und schlanke Bäume das Bildfeld. Die Andeutungen der Landschaft sind nur wenig ausgearbeitet und mit dicken, teilweise überarbeiteten, sehr pastosen Strichen gegeben. Das Gesicht der Maria ist relativ wenig konturiert, wie auch der Faltenwurf ihres Gewandes kaum skulptural ausgearbeitet ist. Dies mag auf den Erhaltungszustand der Farben zurückzuführen sein. Joseph fällt auf durch ein besonders dunkles Gesicht, umrahmt von silbrigen Locken. Seine hockende Position wird optisch verstärkt durch die orangefarbenen Aufhellungen der Knie unter seinem leuchtenden Rock. Innigkeit und Zugewandtheit sind in diesem Bild gut repräsentiert.
Das Verhältnis von Bildfüllung und Format ist jedoch durch die stark schwankenden Größenverhältnisse sehr unausgewogen. Die Nahansichtigkeit der Figuren erhöht zwar deren Präsenz, lässt aber auch eine gewisse Unsicherheit in der Einschätzung der Möglichkeiten des gegebenen Bildraums erkennen. Dieser ausgeprägte Hang zur Disharmonie scheint einer späten Datierung um 1540 zu widersprechen. Die wenigen Details sind sehr flüchtig skizziert, so etwa der Kreuzstab des Johannesknaben, der Wanderstab des Joseph oder über dessen Kopf am rechten oberen Bildrand die Engelsfigur in der Himmelspartie.
Die unterschiedlichen Größenverhältnisse irritieren in mehreren Bildern Sodomas von der Heiligen Familie. Allerdings ist gewöhnlich das Gewand der Maria wesentlich detaillierter und im Lichtspiel feiner ausgearbeitet als in Inv. 742. Weitere Attribute, die das Geschehen erläutern würden, fehlen hier vollständig. Eine noch in Vercelli, Sodomas Geburtsort, befindliche Hl. Familie mit Engel und Johannes zeigt eine vergleichbare kniende und betende Madonna mit blauem Gewand sowie im Hintergrund einen in ungewöhnlicher Haltung sitzenden Joseph.1
Da Sodoma Siena vermutlich um 1540 verließ, in der Literatur jedoch die Bezugnahme zu einer im Motiv identischen Werkstattarbeit in der Pinacoteca Nazionale von Siena festgestellt wird,2 könnte diese Arbeit noch vor dem Weggang entstanden sein. Etliche solcher Andachtsbilder scheinen mit der Charakterisierung Sodomas durch Suida übereinzustimmen: »Leicht und schnell schaffend, der Auseinandersetzung mit Problemen wenig geneigt, hat er manches gemalt, das zwar noch immer das Zeichen seiner künstlerischen Handschrift trägt, hinter seinen Hauptwerken aber beträchtlich zurücksteht.«3 Hatte Hentzen bei Inv. 742 darauf verwiesen, dass »der Typus des Madonnenkopfes mit der auffällig langen Nase, die etwas manieriert gespreizten Finger, auch die Behandlung der Landschaft« auf eine Entstehung in der letzten Schaffenszeit Sodomas schließen lasse,4 so zeigen andere Werke Sodomas in der Sieneser Galerie unschwer, dass der Strich des Künstlers gewöhnlich etwas weicher, weniger kristallin-hart und konturierend ist als in der Hamburger Darstellung. Syamken brachte deswegen Jacopo de Boateri (siehe dort) ins Gespräch.5 Da dieses Werk jedoch bislang von der Sodoma-Forschung gänzlich übersehen wurde, fehlen fundierte Stellungnahmen zur Frage der Einordnung und Zuschreibung.6 M. S.

1 Holz, 74 x 60 cm, Museo Borgogna, Vercelli (Piemont).
2 Holz, 79 x 58 cm, Accademia, Siena, Inv. 356 (Werkstatt Sodoma, schlechter Erhaltungszustand); s. P. Torriti, La Pinacoteca Nazionale di Siena. I dipinti dal XV al XVIII secolo, Genua 1977, S. 108, Abb.
3 Zit. n. Walter Suida, Sodoma, in: Thieme-Becker, Bd. 31, 1937, S. 201.
4 Hentzen 1958, S. 147.
5 Mündl. Mitteilung an die Verf.
6 Dies gilt auch für ähnliche Werke Sodomas, s. L. Wolk, Sodoma’s Holy Family with Saint John (ca. 1520?), in: Bulletin of the Detroit Institute of Arts 61, 1984, H. 4, S. 23.

LIT.: Emil Jacobsen, Sodoma und das Cinquecento in Siena. Studien in der Gemäldegalerie zu Siena, Straßburg 1910, S. 61; Katalog 1956, S. 143; Alfred Hentzen, Erwerbungen 1951-1957, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 3, 1958, S. 147 f., Abb. 1; Katalog 1966, S. 149.

Details zu diesem Werk

Pappelholz 80cm x 62cm (Bild) Inv. Nr.: HK-742 Sammlung: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback