Hinrich Stravius

Die Jagdbeute

Die Halbfigur eines alten Mannes mit langem weißgrauem Bart erscheint nahe an den Bildrand gerückt vor einem dunklen Hintergrund. Sein Haupt mit dem schütteren weißen Haar ist mit einem Kranz aus Efeu bekrönt. Sein Kopf ist leicht nach links gewendet, der Blick führt aus dem Bild heraus. Er trägt einen dunklen Mantel über einem braunen Hemd. Seine rechte Hand umfasst die Spitze einer marmornen Pyramide, auf deren dem Betrachter zugewandter Seite zehnmal der Buchstabe »M« in rhythmisierter Anordnung (vier, vier, zwei) zu sehen ist. Die Linke hält ein an den Rändern welliges und eingerissenes Pergament mit dem griechischen Buchstaben Omega in der Mitte.
Syamken wies auf die Ähnlichkeit mit einem Holzschnitt aus Vincenzo Cartaris Götterlehre Imagini degli Dei de gl’Antichi von 1647 hin, der das Bildnis des Schöpfergottes der Ägypter zeigt.1 Dort symbolisiert das zehnfache »M« (= 10 000) in der Hand des laubbekränzten bärtigen Alten die vollkommene Zahl; in einer Pyramide verschlossen, bedeutet sie ebenso wie das Omega-Zeichen (der letzte Buchstabe im griechischen Alphabet) »Finis« (= Ende, Vollendung). Aufgrund ihrer größeren Beliebtheit bei Künstlern sind wohl die Neuausgaben von Cesare Ripas Iconologia, in der sich dieselbe Darstellung aus Cartaris Imagini degli Dei de gl’Antichi als Illustration zum Begriff »Fine« findet, die wahrscheinlichere Quelle.2
Anders als in den Holzschnitt-Illustrationen ist die Figur von Stravius in Nahsicht gegeben und mit individuellen Gesichtszügen versehen. Versteht man sie im Sinne des Typus eines Philosophenportraits, so könnte man vermuten, dass ein bestimmter Philosoph dargestellt ist. Frenssen verwies hierzu auf eine Radierung von Salvator Rosa, die den melancholisch über die Vergänglichkeit der Welt nachgrübelnden Demokrit neben einer Steintafel mit einem von vier »M« umgebenen Omega-Zeichen zeigt.3
Doch auch an eine Darstellung des Empedokles kann gedacht werden, der die sogenannte Vier-Elemente-Lehre entwickelt und als erster Philosoph das Element Erde den ersten drei Elementen Feuer, Wasser und Luft hinzugefügt hatte. Dies könnte einen Bezug zu den auffälligen schwarzen Rändern unter den Fingernägeln des Philosophen in Inv. 733 liefern.4 Bei einer Darstellung des Empedokles ließe sich des Weiteren die Pyramide mit dem zehnfachen »M« in Zusammenhang mit der Seelenwanderungslehre des Philosophen erklären. Die Seelenwanderung erfolgt dabei nach einer festgelegten Hierarchie – Empedokles glaubte, dass Sänger, Seher und Ärzte schon einen großen Teil ihrer Strafe verbüßt hätten – und in einem bestimmten Zeitraum von dreimal zehntausend Horen.5 Die dreiseitige Pyramide, deren Spitze der Philosoph in Inv. 733 umfasst (dreißigfaches »M« = 30 000), kann so zusammen mit dem Omega im Sinne der Vollendung der Lebensstrafe und der Rückkehr zu den Göttern gedeutet werden. N. F.

1 Siehe G. Syamken, in: Ausst.-Kat. Hamburg 1983, S. 381,
Nr. 252. Die erste Ausgabe von Cartaris Götterlehre erschien 1556 in Venedig; erst die zweite, erweiterte Ausgabe von 1571 enthielt die Holzschnitt-Illustrationen von Bolognino Zaltieri. In der deutschen Ausgabe von 1669 sind der Begriff und die entsprechende Illustration nicht enthalten.
2 Siehe Ausst.-Kat. Hamburg 1998, S. 10. Der Begriff »Fine« findet sich erst in den italienischen Editionen nach Ripas Tod ab 1625, die von Giovanni Zaratino Castellini um eigene Erfindungen bereichert wurden. In der deutschen Ausgabe von 1669 sind der Begriff und die entsprechende Illustration nicht enthalten.
3 Ebd., S. 11 (Democrito in meditazione, Radierung, 45,6 x 27,6 cm, Museum of Fine Arts, Boston). Der Begriff »Fine« wird in Ripas Iconologia auch mit dem Tod in Verbindung gebracht, was ebenfalls für die Deutung der Figur des Alten als Demokrit im Sinne einer Vanitasdarstellung sprechen würde: »… può significare la morte, come fine di tutti i viventi« (C. Ripa, Iconologia, Padua 1630, S. 265).
4 Gelegentlich wurden die schwarzen Ränder unter den Fingernägeln als Hinweis auf die farblich der Erde in höchstem Maße ähnelnde schwarze Galle des Melancholikers im Sinne Marsilio Ficinos gesehen.
5 Vgl. M. R. Wright, Empedokles. The Extant Fragments, New Haven/London 1981, S. 270, Fragment 115. Die Zeitangabe von dreimal zehntausend Horen wird verschiedentlich als 10 000 oder 30 000 Jahre übersetzt oder auch als symbolische Größe für die endlose Zeit angesehen. Vgl. A. Böhme, Die Lehre von der Seelenwanderung in der antiken griechischen und indischen Philosophie, Phil. Diss. Düsseldorf 1989, S. 41.

AUSST.: Neue Erwerbungen der Hamburger Kunsthalle 1945-1955, Hamburger Kunsthalle 1955, S. 11, Nr. 26; Luther und die Folgen für die Kunst, hrsg. v. Werner Hofmann, Hamburger Kunsthalle 1983, S. 381, Nr. 252, Abb. (Text v. Georg Syamken); Birte Frenssen, Von Stutzern, Philosophen und Kesselflickern. Malerei des Barock in Hamburg, Hamburger Kunsthalle 1998, S. 9-11, Farbabb. 2.
LIT.: Verst. Wien (Dorotheum), 2.-4. 12. 1947, Nr. 160 (nicht verkauft); Katalog 1956, S. 147; Alfred Hentzen, Erwerbungen 1951-1957, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 3, 1958, S. 150; Katalog 1966, S. 153.

Details zu diesem Werk

Öl auf Leinwand 89.2cm x 69cm (Bild) 107cm x 86.5cm (Rahmen) Geschenk 1952 des Kunsthändlers Nils Rapp, Stockholm Inv. Nr.: HK-737 Sammlung: Alte Meister Bildnachweis: Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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