Jan Davidsz. de Heem

Stillleben mit übermaltem Buckelpokal

Das Stilleben auf einem Tisch mit grüner Samtdecke hebt sich vor einem neutralen Hintergrund ab. Vor dem Römer und dem Flötglas liegen ein Deckelpokal, ein Zinnteller mit einer geschälten Zitrone, ferner eine offene und eine geschlossene Auster. Links liegt ein Rebenzweig mit einer Traube. Wie das Röntgenfoto zeigt, war anstelle des Römers ursprünglich ein Buckelpokal wiedergegeben, dessen Fuß durch Farbabrieb stellenweise wieder sichtbar geworden ist.
De Heems Autorschaft erkannte Meijer; ohne Kenntnis der Übermalung vermutete er, der Römer sei von anderer Hand später hinzugefügt worden.2 Früher galt Inv. 72 als Werk Willem Claesz Hedas, dessen Stilleben aus den dreißiger Jahren ähnlich komponiert sind.3 Schon Bergström bezweifelte diese Zuschreibung.4 Vroom verwies auf die Übereinstimmung mit einem Gemälde, das Gerret van Berleborch (auch Gillis oder Gerret van Berkborch) zugeschrieben wird; Inv. 72 sei ebenfalls von diesem Maler.5
Die Komposition mit einem Deckelpokal steht anderen, gesicherten Werken aus De Heems Leidener Zeit sehr nahe.6 Zu einem um 1630 entstandenen Stilleben, ebenfalls mit Buckelpokal, liegendem Pokal und Zinnteller, besteht große Übereinstimmung.7 Ähnlich ist auch die Komposition des Stillebens in Worms, dort anstatt des Pokals eine umgeworfene Silberschale.8 Der pastose Farbauftrag mit den hellen, die Lichtreflexe andeutenden Schlieren auf den Austernschalen findet sich auch auf einem 1629 datierten Bild.9 Eine Entstehung von Inv. 72 um 1630 ist anzunehmen. Auf dem Stilleben mit Nautiluspokal von 1634 in Stuttgart sind prächtigere Gegenstände wiedergegeben.10
Ungeklärt ist, wann und aus welchem Grund der Buckelpokal übermalt und durch den Römer ersetzt wurde. Auf dem Van Berleborch zugeschriebenen Gemälde fehlt der Pokal, aber auch das Flötglas und die Austern; sollte es eine Wiederholung von Inv. 72 sein, so ist die Übermalung vorauszusetzen.11 Nach Meijer stammt der Römer von Simon Luttichuys, auf dessen Stilleben mit Hummer von 1655 ist ein ähnlicher brombeergenoppter Römer mit hohem Fuß dargestellt. Solche Übermalungen im Sinne einer Modernisierung finden sich auch auf Gemälden von Luttichuys und Jan Jansz Treck.12

Thomas Ketelsen 2001

1 M. J. Bok, Jan Davidsz de Heem's Birthplace and Family, in: Mercury 11, 1990, S. 48-52.
2 Fred G. Meijer, Den Haag, schriftl. Mitt. vom 23. 8. 1991.
3 Leithäuser verwies auf das Stilleben von 1631 in Dresden, Inv. 1371; Vroom 1980/1999, Bd. 2, S. 66, Nr. 331. Vergleichbar ist auch das Berliner Bild von 1631 mit anderem Arrangement, ebd., Nr. 332.
4 Mündl. Mitt. vom 25. 8. 1951 (lt. Katalog 1956).
5 Holz, 72,4 x 61,3 cm; vgl. Vroom 1980/1999, Bd. 1, S. 126, Abb. 167, Bd. 2, S. 11, Nr. 12. Das Gemälde besitzt laut Vroom Spuren eines Monogramms und einer Datierung.
6 Zu Werken aus dieser Zeit s. I. Bergström, Another Look at De Heem's Early Dutch Period, 1626-1635, in: Mercury 7, 1988, S. 37-50.
7 Holz, 46,9 x 50,8 cm, ehem. Slg. Susanne Garde, Stockholm; I. Bergström, Dutch Still-Life Painting in the Seventeenth Century, London/New York 1956, S. 175, Abb. 3; Verst. London (Christie's), 8. 12. 1972, Nr. 49.
8 Eichenholz, 57,5 x 44 cm, bez. DHeen. f.; Stiftung Kunsthaus Heylshof, Worms, Inv. 60a; Kritischer Katalog der Gemäldesammlung, bearb. v. W. Schenkluhn, Worms 1992, S. 213-215 (als Cornelis de Heem).
9 Bergström 1988 (wie Anm. 6), S. 40, Abb. 5, S. 44.
10 Lw., 61,5 x 55 cm, Staatsgemäldegalerie, Stuttgart, Inv. 3323; Katalog Stuttgart 1992, S. 160 f. Vgl. ferner Holz, 77,5 x 64,7 cm, dat. 1632, The Barber Institute of Fine Arts, University of Birmingham; Jan Davidsz de Heem en zijn kring, bearb. von
S. Segal, Ausst. Kat. Centraal Museum, Utrecht, Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig 1991, S. 135, Abb. 6b.
11 Vermutlich handelt es sich um eine spätere, das Vorbild variierende Kopie. Ungewiß bleibt die Zuschreibung an Van Berleborch, der von 1650 bis 1655 in den nördlichen Niederlanden nachzuweisen ist. Zum Künstler s. J. A. Renckens,
G. van Berkborch, in: Oud Holland 82, 1967, S. 236-239; Vroom 1980/1999, Bd. 1., S. 124-126 (noch unter dem Namen Van Berkborch); Gemar-Koeltzsch 1995, Bd. 2, S. 87 f.
12 F. G. Meijer, Den Haag (briefl. Mitt. vom 23. 12. 1996). Zur Übermalung auf dem Gemälde von Treck in Kassel s. G. J. M. Weber, Stilleben alter Meister in der Kasseler Gemäldegalerie, Melsungen 1989, S. 25, Abb. 15.

Lit.: Bode 1886, S. 19 (als Heda); Leithäuser 1889, S. 87 (als Heda); Katalog 1918, S. 68; Katalog 1921, S. 70 f.; Katalog 1930, S. 66; Katalog 1956, S. 75; Katalog 1966, S. 78; Vroom 1980/1999, Bd. 1., S. 126, Abb. 168, Bd. 2., S. 11, Nr. 13 (als Van Berkborch); Claus Grimm, Stilleben. Die niederländischen und deutschen Meister, Stuttgart/Zürich 1988, S. 239

Details zu diesem Werk

Eichenholz Inv. Nr.: HK-72 Sammlung: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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