Joseph-François Ducq, zugeschrieben

Ein Paar, das Stiche betrachtet

Das erst 2008 erworbene Gemälde kam mit der Zuschreibung an Joseph-François Ducq in die Hamburger Kunsthalle. (Anm.1) Sein Werk ist nur wenig erforscht. (Anm. 2) Der im flämischen Ledegem geborene Historien und Porträtmaler Joseph-François Ducq studierte zunächst in Brügge Malerei, dann 1786–1792 und 1795–1806 in Paris bei Joseph-Benoît Suvée. Er erhielt 1801 den zweiten Preis des Prix de Rome zusammen mit Ingres. 1806–1813 lebte er gefördert vom Fürsten Eugène de Beauharnais in Rom in der Villa Medici, wo er sich eng an Ingres und den Style Troubadour anschloss. Während der Jahre in Rom befand sich dort auch der befreundete flämische Kupferstecher Joseph Charles de Meulemeester, hauptsächlich an seinem Hauptwerk, der Reproduktion der Loggien Raffaels arbeitend. (Anm. 3) Ducq porträtierte den Freund auch bei dessen Arbeit an den farbigen Kopien nach den Loggien. (Anm. 4) Spätestens durch diesen Kontakt dürfte Ducq auf das für das Hamburger Gemälde so wichtige Gebiet der Reproduktionsgraphik aufmerksam geworden sein. Nach dem Sturz Napoleons 1814 ließ Ducq sich endgültig in Brüssel nieder, wo er an der Akademie Professor wurde und für König Wilhelm I. der Niederlande und den Prinz von Oranien, dem späteren Wilhelm II., arbeitete.
Ducq widmete sich mehrfach alten Meistern, so schuf er beispielsweise um 1820 das Historiengemälde Antonello da Messina im Atelier Jan van Eycks (Anm. 5) und eine frühe, schon 1804 in Rom gemalte Verkündigung Mariae erinnert in ihrem Primitivismus bereits an Ingres und die spätere Malerei der Nazarener. (Anm. 6)
Man ist versucht, in dem Paar ein Selbstbildnis – des zeitlebens unverheirateten – Ducq mit einer Frau erkennen zu wollen, doch führen Vergleiche mit sicheren Bildnissen nicht zu endgültigen Erkenntnissen. (Anm. 7) Sehr wahrscheinlich wird es sich bei dem Mann aber um einen Maler handeln, finden sich neben ihm doch Staffelei, Palette, Pinsel und Farben. Das Hamburger Bild könnte aufgrund der Kleidung des Paares und dem Motiv der Lyra als Rückenlehne des einfachen, mit Stroh bezogenen Atelierstuhls – er läßt sich durchaus als Motiv des Empire deuten – am ehesten in Ducqs zweiter Pariser Zeit wohl zwischen 1800 und 1806 entstanden sein.
Bei dem von dem Paar betrachteten Kupferstich mit der Aussetzung des Moses wird es sich um eine Reproduktion von Claudine Bouzonnet Stella handeln, die diese 1672 nach dem damals im Besitz ihres Vaters befindlichen Gemälde Nicolas Poussins von 1654 (Anm. 8) geschaffen hat. (Anm. 9) In dem Graphikständer erkennt man weiterhin eine Reproduktion des Kopfes der Mutter des besessenen Knaben aus Raffaels Verklärung Christi (Transfiguration Christi) (vgl. Inv.-Nr. 19356 und 1938-78), bei der es sich aufgrund des Formates wohl um die Faksimileradierung von Gilles-Antoine Demarteau d. J. nach einer Zeichnung François Métoyens handelt. (Anm. 10) Dies würde auch einen plausiblen Terminus post quem für die oben vermutete Datierung von Ducqs Gemälde liefern, denn Demarteaus Blatt entstand 1799. Obgleich nur ein Detail darstellend, dürfte die Reproduktion nach Raffael für damalige Kunstkenner ein vertrautes Motiv gewesen sein. Denn seit 1797 befand sich die Verklärung Christi als Beutegut Napoleons in Paris und hatte wie auch die antike Gruppe des Laokoon, die Bewunderung zahlreicher Besucher erfahren. Hiervon zeugen viele literarische Berichte, aber auch zahlreiche Kopien der Transfiguration in zeichnerischer oder druckgraphischer Form (vgl. Inv.-Nr. kb-2009-1557g-4 und kb-2020-145g-2). Innerhalb dieser Gruppe von Reproduktionen der Verklärung Christi stellt der Kopf der Mutter von Demarteau sicherlich künstlerisch eines der besten Werke dar.
An der Wand im Hintergrund sind die Skulptur eines Putto von François Duquesnoy (Anm. 11) sowie eine gezeichnete oder gestochene Wiedergabe der antiken Gruppe des genannten Laokoon zu erkennen, die eine gewisse Verwandtschaft zu einer erhaltenen Detailzeichnung des Vaters aus der Laokoon-Gruppe von Joseph-Charles de Meulemeester aufweist. (Anm. 12)
David Klemm / Andreas Stolzenburg

LIT: Unveröffentlicht

1 Die alte Zuschreibung sei hier nochmals unterstrichen, z. B. mit Verweis auf ein ebenfalls dem Künstler zugeschriebenes Bild mit der Darstellung von Jugend und Liebe, das im Aufbau des architektonischen Raumes durchaus Gemeinsamkeiten erkennen lässt, Öl auf Leinwand, 47,5 x 34 cm; Aukt.-Kat. Paris, Drouot-Richelieu 2008, S. 80, Nr. 103. Gleiches gilt stilistisch und atmosphärisch auch für das Bildnis einer jungen Frau mit Lyra in den Händen, das wohl 1805 entstand; Datiert „aNO X“ (laut Katalog), Öl auf Leinwand, 58 x 46,5 cm; Aukt.-Kat. New York, Sotheby’s 1998, S. 190, Nr. 141. Die Datierung folgte dem französischen Revolutionskalender, der 1805 mit dem Jahr X durch Napoleon wieder abgeschafft wurde.
2 Siehe Guédron 2001, S. 224.
3 Les Loges de Raphael. Collection complète des Cinquante-Deux Tableaux peints a fresque qui ornent les voutes du Vatican et representent des sujets de la Bible. Dessins a l’aquarelle et graves en taille douce par Joseph-Charles de Meulemeester, ancien pensionnaire de France a Rome, terminés sous la direction de M. L. Calamatta, et accompagnés d’un texte par Le Baron de Reiffenberg […], publiés par Arnold Lacrosse, Brüssel 1853 (1. Ausgabe: Paris 1845; Großfolio: 73 x 57 cm). Vorzugseditionen wurden farbig aquarelliert.
4 Eine kleinere, dort „um 1807“ datierte Version (Öl auf Leinwand, 48 x 37 cm) befindet sich seit 1873 in den Musées royaux des Beaux-Arts in Brüssel; Kat. Brüssel 1984, S. 186 (Inv.-Nr. 2563). Auch diese Komposition zeigt Parallelen zum Hamburger Interieur.
5 Zweite Version, entstanden um 1829, Öl auf Leinwand, 27,5 x 39,5 cm, Bourgen-Bresse, Musée de Brou; Ausst.-Kat. Brüssel 2005, S. 102–103, Nr. 82; Ausst.- Kat. Dordrecht 2014, S. 228, Nr. 126 (Beitrag Michael Putter).
6 Entstanden wohl in Paris zwischen 1795–1806, Öl auf Leinwand, 98,5 x 67 cm, Beauvais, Musée départemental de l’Oise; Ausst.-Kat. Brüssel 2005, S. 14, Abb. 7.
7 Vgl. z. B. ein 1829 lithographiertes Bildnis Ducqs von Adrianus Wulffaert, einem Schüler des Künstlers (422 x 296 mm, Brügge, Stedelijk Musea, Steinmetzkabinett) und ein gezeichnetes Selbstbildnis Ducqs mit Palette, angeblich aus der zweiten Pariser Zeit (1795–1807), aber wahrscheinlich eher später entstanden; schwarze Kreide, 575 x 435 mm, Brügge, Stedelijk Musea, Steinmetzkabinett; Van de Velde 1984, Bd. 1, S. 111, Nr. 0.2101, Abb.; Ausst.-Kat. Brügge/Twenthe 2007, S. 194–195, Nr. 100. Unser Dank für Hinweise gilt Laurence Van Kerkhoven, Brügge, und Virginie D’haene, Antwerpen.
8 Öl auf Leinwand, 149,5 x 204,5 cm; Oxford, Ashmolean Museum.
9 Kupferstich, 566 x 758 mm, London, British Museum; Andresen 1863, S. 12, Nr. 22 (nicht auszuschließen sind auch die Kopien 23 und 24); https:// www.britishmuseum.org/collection/object/P_1869-0410-1858 (letzter Aufruf: 23. 2. 2021).
10 1799, Radierung in Crayonmanier, 654 x 490 mm, Paris, Bibliothèque nationale, Cabinet des estampes; Gramaccini/Meier 2003, S. 162, Abb. 184 auf S. 142.
11 Boudon-Machuel 2005, Nr. 88. Freundlicher Hinweis von Peter Fuhring, Paris, Fondation Custodia.
12 Schwarze Kreide, grau laviert, 610 x 445 mm, Brügge, Dépot Societé Archeologique; Ausst.-Kat. Brügge/Twenthe 2007, S. 150, Nr. 57, Abb. S. 152. Es fällt auf, dass alle gewählten Kunstwerke, die im Umfeld des Ateliers wiedergegeben sind, irgendwie mit dem Thema eines verlassenen, kranken oder sterbenden Kindes zusammenhängen, was eventuell Rückschlüsse auf die Lebenssituation des Paares zulässt

Details zu diesem Werk

Öl auf Leinwand 60cm x 50cm (Bild) Erworben mit Mitteln der Campe’schen Historischen Kunststiftung, 2008 Inv. Nr.: HK-5698 Sammlung: 19. Jahrhundert Bildnachweis: Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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