
Ronald B. Kitaj
Reflections on Violence, 1962
Gedanken über Gewalttätigkeit
Der seit 1957 in England lebende amerikanische Maler war in seiner Bildsprache von der vergleichenden Kunstgeschichte des Kulturhistorikers Aby Warburg angeregt. In seinem Gemälde zum Thema Gewalt evozieren rote Farbspuren den Eindruck von Aggression. Disparate Bildelemente sind gleichmäßig über den Bildgrund verteilt: Piktogramme, Diagramme menschlicher Figuren, Zeitungsausschnitte und handschriftliche Notizen. Letztere legen Kitajs Quellen offen: So ist das Bild nach einer Abhandlung des Sozialphilosophen Georges Sorel aus dem Jahr 1908 benannt. Die menschlichen Figuren zitiert Kitaj aus einer volkskundlichen Studie über indianische Darstellungen des Kampfes gegen die Kolonisation. Als tagespolitischen Bezug verweist er auf die sich anbahnende Kubakrise. Zu einer Zeit, als die abstrakte Kunst dominierte, entwickelte Kitaj eine intellektuell wie visuell anspruchsvolle „forschende“ Malerei, die Mythos und Logik gleichermaßen Raum gibt – nach Aby Warburg zeitlose Leitmotive des Kunstschaffens.
Daniel Koep