Adriaen Isenbrant, Nachfolger

Christus am Kreuz mit Maria und Johannes, 1501/1550

Der gekreuzigte Christus ist in der Mitte dargestellt, zu seiner Linken steht Maria in blauem Gewand mit weißem Kopftuch, rechts der aufblickende Johannes in rotem Gewand mit Überwurf. Über dem Querbalken die Inschrift INRI (Jesus von Nazareth, König der Juden). Drei Engel fangen mit Kelchen das Blut aus den Wundmalen auf. Im Hintergrund erstreckt sich eine hügelige Landschaft mit einer befestigten Stadt (Jerusalem); eine Burg auf schroffem Felsen erhebt sich hinter Maria.
Die Figuren wurden mit Hilfe von Kartons durchgepaust, einzelne Punktierungen wie etwa am linken Arm Christi sind mit bloßem Auge zu erkennen.1 Die Landschaft ist mit wenigen Linienzügen vorgezeichnet, einzelne Schraffuren deuten die Felsen an. Die Ausführung weicht an mehreren Stellen von der Vorzeichnung ab: Der Kopf Christi war ursprünglich leicht nach rechts gewendet und der Kelch, der das Blut aus der Lanzenwunde auffängt, höher angesetzt; das Gesicht des Johannes war dem Betrachter stärker zugewendet. Sein Kopf und der von Maria wurden leicht vergrößert, der erste Entwurf eines Totenkopfes in schräger Ansicht verworfen.
Die Vorlagen wurden in der Werkstatt Isenbrants mehrfach verwendet. Eine Tafel in Brou2 und eine weitere Fassung im Kunsthandel, ehem. Slg. Hedbrog,3 zeigen dieselbe Komposition. Anders als auf Inv. 5231 ist auf beiden Bildern Maria Magdalena zu Füßen des Kreuzes dargestellt; die Abstände zwischen den Engeln und den Köpfen von Maria und Johannes variieren. Das Gemälde aus der Slg. Hedbrog mit statuarisch wirkenden Figuren steht vermutlich am Anfang der Reihe, es fehlen dort die Engel, Johannes hält seine Hände geöffnet. Diese Komposition liegt auch der Kreuzigung auf Isenbrants Sieben Schmerzen Mariae zugrunde.4
Die Kreuzigung Christi fand auch im Kreis der Antwerpener Manieristen großen Anklang. Eine Jan de Beer zugeschriebene Tafel in Köln5 wiederholt die Komposition, ebenso ein Triptychon des Meisters von 1518.6 Auf beiden Gemälden kniet Maria Magdalena zu Füßen des Kreuzes; wie auf Inv. 5231 verschränkt Johannes seine Arme vor der Brust. Friedländer bezeichnete die Hamburger Fassung als Kopie nach dem Kölner Gemälde De Beers. Beide Bilder stimmen in einzelnen Details überein, so etwa in dem Kopftuch Mariens, das ihre zur Schulter geführte linke Hand verhüllt. Wilson führte dieses Motiv auf einen Übersetzungsfehler bei der Nutzung der Pausen zurück, ohne jedoch auf das Kölner Bild als mögliches Vorbild zu verweisen (oder vice versa). Beide Bilder gehen jedoch vermutlich auf Isenbrants Komposition der Kreuzigung Christi zurück. Die Figur des Johannes mit dem überlängten rechten Bein und dem für Isenbrant untypisch bewegten Gewand deuten darauf hin, daß Inv. 5231 außerhalb seiner Werkstatt, möglicherweise ebenfalls in Antwerpen entstanden ist.

Thomas Ketelsen 2001

1 Wilson 1990, S. 524 f.; ders. 1998, S. 119-122.
2 Holz, 36 x 28 cm, Musée de Brou, Bourg-en-Bresse, Inv. 993.36; Les maîtres du nord à Brou. Peintures flamandes et hollandaises du Musée de Brou, bearb. v. M.-D. Nivière, Bour-
g-en-Bresse 1994, S. 30-32, Nr. 9, mit Hinweis auf Inv. 5231,
S. 32, Abb. 2.
3 Holz, 60 x 49 cm; Friedländer, Bd. 11, 1974, S. 85, Nr. 163, Taf. 128; Verst. London (Sotheby's), 15. 1. 1993, Nr. 74; Wilson 1998, S. 121, Abb. 121; vgl. eine weitere, stark vereinfachende Replik Verst. New York (Parke-Bernet), 19. 10. 1955, Nr. 8 (als Brügger Schule).
4 Eiche, 138 x 138 cm, rechter Flügel vom Diptychon des Joris van de Velde, Onze-Lieve-Vrouwekerk, Brügge; Wilson 1998,
S. 125, Abb. 57.
5 Holz, 96 x 64 cm, Erzbischöfliches Diözesanmuseum Köln, Inv. M 18-152; Friedländer, Bd. 11, 1974, S. 68, Nr. 14; Kostbarkeiten in Köln, bearb. v. W. Schulten, Köln 1978, S. 24, Nr. 42.
6 Triptychon, Holz, 107 x 69,5 cm (Mitteltafel), 109 x 30 cm (Flügel); Friedländer, Bd. 11, 1974, S. 32 f.; Verst. London (Sotheby's), 16. 12. 1999, Nr. 6.

Ausst.: Böhmen liegt am Meer. Die Erfindung der Landschaft um 1600, Hamburger Kunsthalle 1999, S. 23, 61, Nr. 40.
Lit.: Friedländer, Bd. 11, 1933, S. 89, 133, Nr. 158, Taf. 65; Godefridus Joannes Hoogewerff, De Noord-Nederlandsche Schilderkunst, 4 Bde., 's-Gravenhage 1936-1942, Bd. 3, S. 34, Anm. 1; Friedländer, Bd. 11, 1974, S. 52, 85, Nr. 158, Taf. 127; Helmut R. Leppien, Erwerbungen für die Gemälde- galerie im Jahre 1976, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 22, 1977, S. 187; Jean C. Wilson, Workshop Patterns and the Production of Paintings in Sixteenth-Century Bruges, in: Burlington Magazine 132, 1990,
S. 524-526, Abb. 2; dies., Painting in Bruges at the Close of the Middle Ages, Pennsylvania 1998, S. 118-122, Abb. 55.

Details zu diesem Werk

Eichenholz 34.3cm x 24.7cm (Bild) 51cm x 41cm (Rahmen) Inv. Nr.: HK-5231 Sammlung: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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