Max Beckmann
Bildnis einer Rumänin (Frau Dr. Heidel), 1922
Nach einer aufblühenden Karriere in der Metropole Berlin stellte der Erste Weltkrieg für den jungen Maler Max Beckmann eine tiefe Zäsur dar. Als er im Jahr 1915 als Sanitäter an der Front einen Nervenzusammenbruch erlitt und von seinem Dienst freigestellt wurde, zog er sich ins ruhigere Frankfurt am Main zurück. In Bildern mit meist christlicher Ikonographie verarbeitete er zunächst die traumatischen Erlebnisse, bevor er sich mit wachen Augen einer neuen Wirklichkeit zuwandte, die er in prägnanten Figuren- und Landschaftsbildern fasste.
Eingebunden in das intellektuelle und gesellschaftliche Leben seiner Zeit avancierte Beckmann rasch zum begehrten Porträtisten. Auch "Bildnis Frau Dr. Heidel" dürfte eine Auftragsarbeit gewesen sein, wenngleich die Identität der Dargestellten bis heute nicht eindeutig geklärt ist.1 Es handelt sich wohl um Astrid Matthias, spätere Frau des Schriftstellers Leo Matthias, die in erster Ehe mit einem Arzt verheiratet gewesen war. Beckmann inszenierte die 22-jährige Astrid Heidel geschminkt und frisiert in ornamentierter Abendgarderobe mit Goldkette und Ansteckblume. Nicht nur das widerspenstige Haar, die sprechenden Augen und rosigen Wangen lassen die Figur lebendig, kraftvoll wirken: Mit in die Hüften gestemmten Händen und herausforderndem Blick behauptet sie sich im Bild und behält einer Symmetrieachse gleich ihren festen Stand – und dies, obwohl sie durch eine Wand mit schräger, auf Augenhöhe verlaufender Leiste und einen quer gestellten Stuhl auf engsten Raum gezwängt ist. Mit einem starken Sinn für das Brüchige von Wirklichkeit verlieh Beckmann auch diesem Porträt einen doppelten Boden und der perfekten Eleganz eine herbe, renitente Note.
Laut der von ihm selbst geführten »Bilderliste« beendete Beckmann sein Gemälde am 6. Dezember 1922, ein Vor- und ein Nachspiel dazu gab es in fünf Arbeiten auf Papier2 (Vgl. hierzu: Bildnis einer Rumänin I, 1923, Inv.-Nr. 1989-33 und Bildnis einer Rumänin II (Halbfigur), 1923, Inv.-Nr. 1985-308, beide Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett).
Als eines von 19 Gemälden repräsentierte "Bildnis Frau Dr. Heidel" Max Beckmann in der Ausstellung »Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus«, die vom 14. Juni 1925 an zunächst in der Kunsthalle Mannheim und danach in Dresden, Chemnitz, Erfurt und Dessau zu sehen war – der Mannheimer Direktor Gustav Friedrich Hartlaub hatte sie bereits im Jahr 1923 realisieren wollen, die Vorbereitungen aber aufgrund der galoppierenden Inflation abbrechen müssen. Die wegweisende Schau erfuhr große Resonanz in der Presse und führte dem Publikum der Weimarer Republik die Kunst seiner Zeit vor Augen: Der überschwängliche Expressionismus vor dem Krieg war einer präzisen, der harten Realität angepassten Nüchternheit gewichen.
Karin Schick
1 Vgl. Erhard und Barbara Göpel, Max Beckmann. Katalog der Gemälde, im Auftrag der Max Beckmann Gesellschaft hrsg. von Hans Martin von Erffa, 2 Bde., Bern 1976, S. 159f.
2 Vgl. Stephan von Wiese, Max Beckmanns zeichnerisches Werk 1903–1925, Düsseldorf 1978, S. 221, Nrn. 476–478 sowie James Hofmaier, Max Beckmann. Catalogue raisonné of his prints, 2 Bde., Bern 1990, S. 644–647, Nrn. 255, 256.
Dieses Werk befindet sich im Online-Werkverzeichnis „Max Beckmann. Die Gemälde“: https://www.beckmann-gemaelde.org/217-bildnis-frau-dr-heidel