Adam Willarts

Wildziegenjagd an der Küste, 1620

Vor einer felsigen Küste ankern sechs unter holländischer Flagge segelnde Ostindienfahrer, spezielle Frachtschiffe der 1602 gegründeten Ostindischen Companie, die zur Verteidigung mit einer Geschützreihe ausgestattet waren.3 Am Heck des vorderen linken Schiffes ist das Banner der sieben nördlichen Provinzen, der Löwe mit Schwert und Pfeilen, zu erkennen; dasselbe Wappen befindet sich am Spiegel. Am Hauptmast weht eine Fahne mit dem Stadtwappen Amsterdams. Drei Beiboote haben mit ihren Mannschaften am schmalen Uferstreifen angelegt, um Proviant zu beschaffen. Mehrere Schützen versuchen, mit schweren Vorladern die auf den Felsen kletternden Wildziegen zu erlegen, andere sind mit dem Ausnehmen der Jagdbeute beschäftigt. Der den Betrachter anschauende Mann vorn hat porträthafte Züge.
Eine 1614 datierte Küstenlandschaft des in Haarlem tätigen Seemalers Hendrick Cornelisz Vroom (1566-1640) zeigt eine ähnliche Küste mit vorgelagerten Inseln und ankernden Schiffen.4 Willarts griff diesen Kompositionstyp auf, senkte aber die Horizontlinie; den so entstandenen Eindruck eines Tiefenraums verstärkt der hellblaue Meeresstreifen unterhalb des Horizonts, der von den grünen Wassermassen abgesetzt ist.
Die Gestaltung der Uferzone mit bizarren Felsen ist für Willarts charakteristisch. Eine ähnliche Komposition zeigt die mit Inv. 336 gleichzeitig entstandene Küstenlandschaft in Dresden5 sowie die ein Jahr später gemalten Gemälde Predigt Christi im Boot6 und Schiffe vor felsiger Küste7. Das Motiv der Felsen mit aufsteigenden Lerchen und umherspringenden Wildziegen geht vermutlich auf Zeichnungen Roelandt Saverys aus Böhmen und Tirol zurück. Bei Savery, der seit 1618 in Utrecht lebte, findet sich auch das Motiv des Jagens.8 Vorbilder für die Schützen vorn sind in Jacques de Gheyns Waffenhandlung zu finden, einem erstmals 1608 erschienenen Stichwerk, in dem die Handhabung von Feuer- und Stichwaffen vorgeführt wird.9 Willarts Felsküsten beeinflußten u. a. Simon de Vlieger in seinen Gemälden.10

Thomas Ketelsen 2001

1 M. J. Bok, Adam Willarts in: Masters of Light, Dutch Painters in Utrecht during the Golden Age, bearb. v. J. A. Spicer, Ausst. Kat. Fine Arts Museums, San Francisco u. a. 1997/98, S. 391 f.
2 Laut Woermann 1892, S. 80, wurde Inv. 336 im Jahr 1877 »im Hamburger Kunsthandel gegen ein anderes ähnliches Bild desselben Meisters (1621 oder 1624 datiert) eingetauscht.«
3 Zum Schiffstyp siehe L. M. Akveld, Erklärung der Namen einiger niederländischer Schiffstypen aus dem 17. Jahrhundert und ihre Konstruktionsteile, in: Ausst. Kat. Herren der Meere 1996/97, S. 28.
4 Lw., 98 x 151 cm, National Maritime Museum, Greenwich, Inv. BHC 0727; Ausst. Kat. Herren der Meere 1996/97, S. 80 f., Nr. 1.
5 Holz, 62 x 104 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv. 936; Maere/Wabbes 1994,
Bd. 3, Abb. 1280.
6 Holz, 57 x 87,5 cm, ehem. Turin, Privatbesitz; s. Mirror of Empire. Dutch Marine Art of the Seventeenth Century, Ausst. Kat. Minneapolis Institute of Arts, Minneapolis u. a. 1990,
S. 207-209, Nr. 55.
7 Holz, 62 x 122,5 cm, bez. A. Willarts. f. 1621, Rijksmuseum, Amsterdam, Inv. SK-A-1927; Katalog Amsterdam 1976, S. 605; Masters of Light 1997/98 (wie Anm. 1), S. 330-333, Nr. 66.
8 Vgl. J. Spicer, A Pictorial Vocabulary of Otherness. Roelandt Savery, Adam Willaerts, and the Representation of foreign Coasts, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 48, 1997, S. 23-51.
9 J. de Gheyn, Wapenhandelinghe van Roers, Musquetten ende Spiessen, Amsterdam 1608; Hollstein 146-262.
10 Vgl. Vliegers Felsküste mit Jägern, Holz, 90 x 120 cm, Musée des Beaux-Arts, Lyon, Inv. H 2129.

Ausst.: Herren der Meere. Meister der Kunst. Das holländische Seebild im 17. Jahrhundert, bearb. v. Jeroen Giltaij, Jan Kelch, Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie 1996/97, S. 114-116, Nr. 12; Böhmen liegt am Meer. Zur Erfindung der Landschaft um 1600, Hamburger Kunsthalle 1999, S. 61, Nr. 49, S. 2, Abb. (Ausschnitt).
Lit.: Julius von Pflugk-Hartung, Die Webersche Gemäldesammlung, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 8, 1885, S. 85; Alfred Woltmann, Karl Woermann, Geschichte der Malerei, 3 Bde., Leipzig 1879-1888, Bd. 3/2, S. 405 (die Jahreszahl fälschlich als 1626 gelesen); Woermann 1892, S. 80 f.; Theodor von Frimmel, Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen, 4 Tle., Leipzig 1899-1901 (Galeriestudien, 1), Tl. 1, S. 514; Woermann 1907, S. 165 f., Nr. 192; Fred C. Willis, Die Niederländische Marinemalerei, Leipzig 1911, S. 26; Katalog 1918, S. 188; Katalog 1921, S. 195; Katalog 1930, S. 185; Katalog 1956, S. 171; Katalog 1966, S. 178; Bol 1973, S. 68, Abb. 65; Rupert Preston, Seventeenth Century Marine Painters of the Netherlands, Leigh-on-Sea 1974, S. 69.

Details zu diesem Werk

Eichenholz x (Rahmen) Geschenk der Johann Averhoff-Stiftung 1912 Inv. Nr.: HK-336 Sammlung: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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