Karl Kluth

Bildnis eines Jungen, 1923

Karl Kluth stammte ursprünglich aus Halle an der Saale. Von 1919 bis 1922 studierte er Malerei an der Akademie in Karlsruhe. Unmittelbar im Anschluss an seine Ausbildung übersiedelte er nach Hamburg; hier wurde er Teil der lebendigen Kunstszene der 1920er und frühen 1930er Jahre. Rückblickend schrieb er: »Eine Periode, in der wir trotz meistens bescheidener Mittel alle glücklich waren. Wie nie wieder.«1

Mit diesem Bildnis ließ der 26-jährige Künstler ein bemerkenswertes Werk entstehen, dessen Bedeutung Museumsdirektor Gustav Pauli gleich erkannte. Im Jahr 1925 erwarb er es für die Hamburger Kunsthalle. Vor einem annähernd monochromen brauntonigen Hintergrund sitzt ein ärmlich gekleideter Junge. Eine Lichtquelle außerhalb der Bildgrenzen modelliert den Körper und gibt ihm Volumen. Ein Beleuchtungsreflex hebt das einfache weiße Hemd hervor; auch die mageren Handgelenke, die die zu kurzen Jackenärmel freigeben, sind hell herausgestellt. Mit einer Gebärde der Selbstvergewisserung umklammert seine rechte Hand den linken Arm, die geballte Faust liegt auf seinem Bein. Sein ins Leere gerichteter Blick verweist auf ein von Hoffnungslosigkeit und Schwermut geprägtes inneres Erleben. Der ihn umgebende Raum verstärkt mit dem Verzicht auf Mobiliar, Fenster oder Türen die Anmutung von Isolation und trostloser Leere. Auch die vorherrschenden Farbtöne Graubraun, Braun und Weiß unterstützen die bedrückende Atmosphäre.

Kluth legt es in seinem Gemälde nicht darauf an, einen bestimmten Menschen in seinem persönlichen Erleben zu zeigen – seine Darstellung geht über das Individuelle hinaus. Stattdessen vermittelt sich über den dargestellten Jungen die Zeitstimmung in den Jahren unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, als materielle Not und gesellschaftliche Umbrüche die Zeitgenossen nachhaltig erschütterten. Kluth formuliert sein Werk allerdings nicht als Anklage. Sein Bild der bitteren Armut, Hilflosigkeit und Resignation ist ein berührendes Zeugnis menschlichen Elends; es fordert zum emotionalen Nachvollzug auf.

In ähnlicher Weise haben auch andere Künstler*innen, darunter Karl Hofer und Käthe Kollwitz, Probleme der Zeit aufgegriffen und in ihren Werken veranschaulicht.

Gabriele Himmelmann

1 Alfred Hentzen: »Aus der Sicht eines Freundes«, in: Karl Kluth zum 100. Geburtstag. Gemälde 1923–1970, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Köln 1998, S. 7-14, hier S. 9.

Details zu diesem Werk

Öl auf Leinwand 74cm x 60cm (Bild) 82.5cm x 67cm (Rahmen) Hamburger Kunsthalle, erworben 1925 aus dem Fonds für Hamburgische Künstler Inv. Nr.: HK-2464 Sammlung: Klassische Moderne © Vera Kluth / Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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