Jacobus Vrel

Eine Straßenszene, 17. Jahrhundert

Signaturen auf seinen Bildern sind die einzigen Lebensspuren von Vrel. Viel mehr ist nicht bekannt von dem Künstler, der ein Œuvre von ungefähr 38 Gemälden hinterließ. Obwohl er keiner niederländischen Malergilde zugeordnet werden kann, wird sein Schaffen mit den Orten Delft, Leiden, Dordrecht, Haarlem und dem Niederrhein in Verbindung gebracht. Vrels Bildthemen in der Manier von Pieter de Hooch und Johannes Vermeer variierten zwischen häuslichen Interieurszenen, Darstellungen von Innenhöfen und Straßenszenen. Sie entstanden zumeist für den Kunstmarkt. Hohe, unmittelbar aneinander angrenzende Backstein- und Giebelhäuser mit markanten roten Ziegeldächern umrahmen einen Platz in einer offenkundig ärmeren Wohngegend. Sie spiegeln die Enge und das eingeschränkte, genügsame Leben der dargestellten Figuren wider. Ein Bäcker bietet seine Waren in dem Haus rechts an, aus dem offenen Fenster beobachtet ein Mann die Straße. In dem Haus auf der linken Seite werden Kohlköpfe verkauft. Das weiße Kreuz an der Mauer markiert es vermutlich als Pesthaus.

Sandra Pisot
Erst 1886 und 1890 hat Bredius die Straßenansicht Jacobus Vrel zugeschrieben; bis dahin galt sie wie andere Gemälde des Malers als Werk Johannes Vermeers.2 Backsteinhäuser begrenzen einen Platz, von dem eine enge Gasse wegführt. In dem Giebelhaus rechts ist die Auslage eines Bäckers ausgebreitet, in dem Haus links werden unter einem Pultdach Kohlköpfe angeboten. Das weiße Kreuz an der Wand des linken Hauses deutet vermutlich darauf hin, daß es sich um ein Pesthaus handelt.3 Die Dachzinnen und das Ziegelmauerwerk der Häuser sind fein ausgeführt; mit den Schlitzfenstern erinnern sie an Pieter de Hoochs oder Hendrick van der Burghs Darstellungen Delfter Innenhöfe, aber auch an Vermeers Straße von Delft.4 Die etwas zu groß wirkenden Figuren in Rückenansicht, zuletzt hinzugefügt, sind für Vrel typisch. Hofstede de Groot hob die besondere malerische Qualität des Bildes hervor: »Het beste schilderij dat ik von den meester kenn.«5
Eine zweite, ebenfalls signierte Fassung des Bildes in Jerusalem ist in der Komposition gleich; nur in wenigen Details weichen beide Bilder voneinander ab.6 Auf dem linken Dachfirst sitzt anstelle des nachträglich hinzugefügten Schornsteins ein Storchennest, der Bäcker schaut weiter links aus dem Fenster, und die Auslage seines Ladens ist anders geordnet. Honig deutet den Bäcker als Darstellung des Künstlers.7 Häufiger hat Vrel auf dieselbe, topographisch nur schwer einzuordnende Architektur zurückgegriffen. Das Giebelhaus mit dem Bäcker kommt etwa auch in dem Gemälde in Hartford vor; dort findet sich ebenfalls ein Schild mit dem Hinweis, das Haus sei zu vermieten.8
Die Vielzahl von Varianten und Repliken sprechen nach Honig für Vrels Tätigkeit für den Kunstmarkt. Der spanische Statthalter Erzherzog Leopold Wilhelm in Brüssel besaß schon vor 1650 drei Gemälde Vrels, woraus möglicherweise auf dessen Tätigkeit in den südlichen Niederlanden geschlossen werden kann.9

Thomas Ketelsen 2001

1 Honig 1989 nimmt eine Beziehung zu den Haarlemer Malern Gerrit Berckheyde oder Nicolaes Hals um 1660 an. Zu den Interieurbildern s. Delft Masters 1996, S. 177-181. Ekkehard Mai, Köln, hat seine Informationen zu Inv. 228 vor dem Erscheinen seiner Monographie über Vrel dankenswerterweise zur Verfügung gestellt.
2 Die von Bode 1886 verzeichnete Signatur lautete: v MEER [ME ligiert] / 1615. Thoré-Bürger 1866 führte Inv. 228 in seinem Katalog der Gemälde Vermeers unter Nr. 55.
3 Martin Widman, Kusterdingen-Wankheim (briefl. Mitt. vom 13. 8. 1998).
4 Zum Verhältnis von Vrel und De Hooch s. P. C. Sutton, Pieter de Hooch, 1629-1684, Ausst. Kat. Dulwich Picture Gallery, London, Wadsworth Atheneum, Hartford (Connecticut) 1998,
S. 76-78.
5 Notiz im Katalog Leithäuser 1889, RKD - HdG Fiches: Vrel.
6 Holz, 53 x 39 cm, Israel Museum, Jerusalem; s. Vermeer. Oorsprong en Invloed. Fabritius, De Hooch, De Witte, Ausst. Kat. Museum Boymans, Rotterdam 1935, S. 42, Nr. 104, Abb. 131.
7 Honig 1989, S. 48, mit Hinweis auf weitere Darstellungen von Künstlern (Ostade, Couwenbergh) in der Rolle von Bäckern. Vgl. auch Vrels signierte und im 19. Jh. ebenfalls Vermeer zugeschriebene Straßenansicht, ehem. Slg. Hans A. Wetzlar, Amsterdam, mit einem Bäcker, der sich aus einem Fenster lehnt, zuletzt Verst. Amsterdam (Sotheby's), 9. 6. 1977, Nr. 125.
8 Holz, 53,3 x 40,5 cm, um 1670 (?), The Ella Gallup Summer and Mary Cattin Summer Collection, Inv. 1937.489; s. Wadsworth Atheneum Paintings, Catalogue I. The Netherlands and the German-Speaking Countries, Fifteenth-Nineteenth Centuries, Hartford 1978, S. 200, Nr. 167, S. 83, Abb. 101; ferner Opkomst en bloei van het Noordnederlandse stadsgezicht in de 17de eeuw, Ausst. Kat. Amsterdams Historisch Museum, Art Gallery Ontario 1977, S. 236, Nr. 131. Mai verweist auch auf ein Gemälde im Besitz von Otto Neumann, New York.
9 Vgl. u. a. Frau am Fenster, Eichenholz, 66 x 47,5 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien, Inv. 6081; Katalog Wien 1991,
S. 134, Taf. 542.

Lit.: Katalog Slg. Hudtwalcker 1861, S. 117 f. (als Jan van der Meer van Delft); W. Thoré-Bürger, Van der Meer de Delft, in: Gazette des Beaux-Arts 21, 1866, S. 570, Nr. 55; Bode 1886, S. 22 (als Jan Vermeer); Arnold Bredius, Auktion von Brenken-Bechade in Köln, 1.-2. April [1886], in: Kunstchronik 21, 1886, Sp. 676 (als Vrel); Leithäuser 1889, S. 41 (als Vermeer); Arnold Bredius, Die Meisterwerke der Königlichen Gemäldegalerie im Haag, München [1890], S. 37 (als Vrel); Hofstede de Groot, Die Auction Thoré-Bürger, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 16, 1893, S. 118; Hofstede de Groot, Bd. 1, 1907, S. 613, Anm. 20; Hofstede de Groot, Jacobus Vrel, in: Oude-Kunst 1916, S. 210; Katalog 1918, S. 182; Katalog 1921, S. 189; Wilhelm R. Valentiner, Dutch Genre Painting in the Manner of P. de Hooch, Jacobus Vrel, in: Art in America 1929, S. 91, 93, Abb.; Katalog 1930, S. 179; Clotilde Brière-Misme, Un »intimiste hollandais«, Jacob Vrel, in: La Revue de l'Art Ancien et Moderne 39, 1935, S. 103, Abb. 2, S. 108; Eduard Plietzsch, Jacobus Vrel und Esaias Boursse, in: Zeitschrift für Kunst 3, 1949, S. 253; Katalog 1956, S. 166; Eduard Plietzsch, Holländische und flämische Maler des XVII. Jahrhunderts, Leipzig 1960, S. 82; Katalog 1966, S. 173; Gérard Régnier, Jacob Vrel, un Vermeer du pauvre, in: Gazette des Beaux-Arts 71, 1968, S. 272 f., 274, Abb. 3; Meisterwerke 1969, Abb. 97; Bob Haak, Das Goldene Zeitalter der holländischen Malerei, Köln 1984, S. 160, Abb. 336; Elizabeth Alice Honig, Looking in(to) Jacob Vrel, in: Yale Journal of Criticism 3, 1989, S. 44; Meisterwerke 1994, S. 44, Abb., S. 225; Delft Masters. Vermeer's Contemporaries, hrsg. v. Michiel C. C. Kersten, Daniele H. A. C. Lokin, Ausst. Kat. Stedelijk Museum Het Prinsenhof, Delft 1996, S. 104, Abb. 85; Ben Broos, Vermeer. Malice and Misconception, in: Vermeer Studies, hrsg. v. Ivan Gaskell, Michiel Jonker, New Haven/London 1998 (Studies in the History of Art, 55), S. 24 (Abb. 8 verwechselt Inv. 228 mit dem Gemälde in Jerusalem). (UD 11.07.03 Régnier in Gaz.e d. B.A. 101,1)

Details zu diesem Werk

Öl auf Eichenholz 50cm x 38.5cm (Bild) 79.5cm x 68cm (Rahmen) Hamburger Kunsthalle, erworben aus der Sammlung Hudtwalcker-Wesselhoeft, 1888 Inv. Nr.: HK-228 Sammlung: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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