Südniederländisch, Anfang 16. Jahrhundert

Maria mit dem Kind, nach 1494/1508

Maria bietet dem auf ihrem Schoß sitzenden Kind die Brust. Jesus trägt um den Hals einen Rosenkranz aus Korallen, mit der linken Hand greift er nach seinem rechten Fuß, ein Motiv, daß etwa durch Dirck Bouts und Hans Memling vorgeprägt war.1 Über dem blauen Kleid trägt Maria einen roten Mantel. Ein Schloß, hohe Bäume und ein Bauernhaus sind besondere Merkmale in der Landschaft hinter ihr.
Beim Erwerb galt Inv. 217 als ein Werk des Meisters der Heiligblut-Kapelle; Friedländer nahm die Tafel jedoch nicht in sein Werkverzeichnis dieses zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Brügge tätigen Malers auf. Wiederholungen belegen die Beliebtheit der Komposition. Auf einem 1924 in Den Haag versteigerten Bild haben Maria und Kind vor Goldgrund fast die gleiche Haltung. Jesus zieht dort den Fuß noch näher an sich heran, das Lendentuch bedeckt den Oberschenkel dabei ganz. Eine steinerne Brüstung schließt die Komposition nach unten ab.2 Eine weitere, dem Umkreis Joos van Cleves zugeschriebene Fassung zeigt dieselbe Brüstung.3 Der Blick geht auch dort rechts auf ein Bauernhaus, links auf eine schloßartige Anlage. Diese Gegenüberstellung hat Spickernagel für die Landschaften Joachim Patinirs als metaphorische Beschreibung der ständischen Gliederung der Welt gedeutet.4 Einzig auf Inv. 217 trägt das Jesuskind einen Rosenkranz.5
Die Bilderfindung geht vermutlich auf Joos van Cleve zurück. Die ihm zugeschriebene Muttergottes mit Birne in Frankfurt stimmt in der Komposition weitgehend mit Inv. 217 überein.6 Auf einer der Werkstatt des Meisters von Frankfurt zugeschriebenen Kopie nach Cleves Frankfurter Bild trägt Maria ein Stirnband mit Brosche wie auf Inv. 217.7 Vermutlich stammt auch das Hamburger Gemälde von einem zeitgenössischen Nachahmer Joos van Cleves. Die Altersbestimmung der Tafel läßt eine Entstehung seit 1508 vermuten. Ein früher dem Meister der Heiligblut-Kapelle zugeschriebenes Marienbild ist mit großer Wahrscheinlichkeit von derselben Hand.8
Das Thema der Maria lactans symbolisiert die Rolle der Jungfrau als Vermittlerin zwischen der Menschheit und Gott.

Thomas Ketelsen 2001

1 Zu Bouts s. Friedländer, Bd. 3, 1968, S. 72 f., Nr. 93; vgl. ferner die den Werkstätten Bouts' und Memlings zugeschriebenen Gemälde in New York, From Van Eyck to Bruegel, bearb. v.
M. W. Ainsworth, K. Christiansen, Ausst. Kat. Metropolitan Museum of Art, New York 1998, S. 226 f., Nr. 50, S. 234, Nr. 54.
2 Holz, 22 x 16,5 cm, Verst. Slg. Kirsch, Den Haag, 10. 6. 1924, Nr. 27.
3 Holz, 43,2 x 30,7 cm, Verst. New York (Christie's), 12. 1. 1994, Nr. 75; eine weitere Fassung auf Holz, 39 x 26 cm, Verst. Amsterdam (Mak), 9. 11. 1943, Nr. 56 (als flämisch, vom Beginn des
16. Jhs.).
4 E. Spickernagel, Die Deszendenz der Kleinen Landschaft, Phil. Diss. Münster 1972, S. 19; s. auch J. Müller-Hofstede, Zur Interpretation von Pieter Bruegels Landschaft. Ästhetischer Landschaftsbegriff und Stoische Weltbetrachtung, in: Pieter Bruegel und seine Welt, hrsg. v. O. von Simson, M. Winner, Berlin 1979, S. 88 f., Anm. 38 u. 42.
5 Der Rosenkranz stammt aus der Marienverehrung des 13. Jhs. Er wurde auch als Apotropaion gebraucht; so legte man etwa Säuglingen einen Rosenkranz in die Wiege, um sie vor dem Bösen zu schützen.
6 Eichenholz, 56,8 x 43,3 cm, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt/M., Inv. 2091; Friedländer, Bd. 9a, 1972, S. 62 f., Nr. 60,
Taf. 75; J. Sander, Niederländische Gemälde im Städel. 1400-1550, Frankfurt/M. 1993 (Katalog der Gemälde, 2), S. 204-210. Freundl. Hinweis von Jochen Sander, Frankfurt.
7 Eichenholz, 61,2 x 46,3 cm, Museum Meyer van den Bergh, Antwerpen, Inv. 31a; Sander 1993 (wie. Anm. 6), S. 209, Abb. 119.
8 Holz, 50 x 36 cm, zuletzt Kunsthandel Brüssel 1959; Friedländer, Bd. 9b, 1973, S. 119, Nr. 204, Taf. 203; vgl. auch ebd.,
S. 119, Nr. 205, Taf. 203.

Lit.: Katalog 1956, S. 105; Katalog 1966, S. 110

Details zu diesem Werk

Eichenholz 58.5cm x 39.5cm (Bild) 65cm x 46cm (Rahmen) 1932 erworben mit den Mitteln der Campe'schen historischen Kunststiftung Inv. Nr.: HK-217 Sammlung: Alte Meister © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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