Anita Rée
Schlucht bei Pians, 1921
Wie prismenhaft gebrochene Kristalle türmen sich die schroffen Bergflanken in zwei Diagonalen zu beiden Seiten einer Schlucht. Sie kontrastieren in ihrer blauvioletten Färbung mit dem orangefarbenen Streiflicht der auf- oder untergehenden Sonne. Das Gemälde Schlucht bei Pians entstand während Anita Rées Reise nach Südtirol im Frühsommer 1921. Hier wollte sie endlich zum »landschaftern« kommen. Das Interesse Rées galt vor allem den verschiedenen Formationen des Gesteins: Aus kleinteiligen, geometrischen Elementen, die sie gegeneinandersetzte, modellierte und konstruierte sie die Felsenstrukturen, deren Kanten und Vorsprünge durch dunkelblaue Konturlinien verstärkt sind. Der zarte, aquarellartige Farbauftrag und das fein differenzierte, auf Blau konzentrierte Farbspektrum lassen das Gestein leuchten und erzeugen zugleich eine starke Tiefenwirkung. In der Farbmodellierung und Formauflösung zeigt sich Anita Rées an Cézanne geschulte Vorstellung von Landschaftsmalerei jener Jahre. Zugleich wird darin ihre malerische Auseinandersetzung mit dem französischen Kubismus sichtbar.
Sophia Colditz