Caspar David Friedrich

Das Eismeer, 1823/24

Im Winter 1820/21 wurde Friedrich Zeuge des Eisgangs auf der Elbe. Fasziniert von dem seltenen Naturschauspiel fertigte er vor Ort drei Ölskizzen mit Eisschollen an (Hamburger Kunsthalle). Auf diese griff er zurück, als er wenige Jahre später sein berühmtes Gemälde Das Eismeer schuf, steigerte die Größenverhältnisse aber ins Monumentale. Gewaltige Eisschollen türmen sich im Zentrum dieser Polarlandschaft zu einem Berg auf. Ein Schiff, das rechts unter die Schollen geschoben, gleichsam von diesen begraben wird, kündet von den Gefahren einer derartigen Expedition in menschenfeindliche Regionen. Über einen pfeilförmigen Eisbrocken sowie eine emporragende spitze Eisscholle im Vordergrund wird die Aufmerksamkeit des Betrachters zusätzlich auf das Schiff gelenkt. Die eisige Kälte lässt sich vor dem Bild gleichsam spüren. Alles wirkt still, wie erstarrt. Doch trotz allen Dramas ist das Bild keine Absage an das Leben, denn am oberen Bildrand klärt sich der Himmel auf. Vermutlich beabsichtigte Friedrich mit diesem Transzendenzverweis, Hoffnung auf ein ewiges Leben nach dem Tod zu stiften.

Markus Bertsch
Seine frühere Bezeichnung "Die gescheiterte Hoffnung" erhielt das Bild von dem Schiff gleichen Namens auf einer früheren Fassung des Bildes, die heute verloren ist. Der Titel passt hingegen auch zu diesem ungewöhnlichen Bild, werden doch in der Malerei seit jeher Motive aus der Seefahrt mit dem menschlichen Lebensweg und Schicksal verknüpft. Die Deutungen sind - wie immer bei Friedrich - ganz verschiedenartig und reichen weit über die bloße Darstellung einer Schiffskatastrophe hinaus. Zu den religiösen Deutungen sind inzwischen auch vermehrt politische Interpretationen getreten. Sicher ist, dass Friedrich ein Bild der Vernichtung, Verlassenheit, Erstarrung und erbarmungslosen Kälte gemalt hat, in dem die Hoffnung jedoch noch nicht ganz verloren gegangen ist: in dem aufbrechenden leuchtend blauen Himmel funkelt ein kleiner Stern. Angeregt wurde Friedrich zu seiner Bilderfindung vermutlich von den Entdeckungsreisen des Engländers Edward William Parry, der mehrmals Expeditionen ins Nordpolargebiet unternahm. Die Schrecken des ewigen Eises inspirierten damals, als die Forscher begannen in die bis dahin dem Menschen verschlossenen Polarregionen vorzudrängen, zahlreiche Künstler. So erschien bereits 1797/98 Samuel Taylor Colerdiges Ballade The Ancient Mariner, in der die Fahrt des alten Matrosen durch die trostlose Einsamkeit des Polarmeers beschrieben wird. Mary W. Shelley lässt das von Frankenstein erschaffene namenlose Ungheuer in das ewige Eis flüchten und 1838 schildert Edgar Allan Poe in der fiktiven Reportage The Narrative of Arthur Gordon Pym, eine Reise in das Südpolargebiet. Im Winter 1821 malte Friedrich mehrere Ölstudien von Eisschollen auf der Elbe, die er für dieses Bild verwendete, vgl. Inv. Nr. 41084, 41085, 41080 in der Hamburger Kunsthalle. Für eine weitere Darstellung von im Packeis aufgeriebenen Schiffen vgl. auch Hermann Kauffmann d.Ä., Inv. Nr. 3344 in der Hamburger Kunsthalle.

Details zu diesem Werk

Öl auf Leinwand 96.7cm x 126.9cm (Bild) 125cm x 155cm (Rahmen) Hamburger Kunsthalle, erworben 1905 Inv. Nr.: HK-1051 Sammlung: 19. Jahrhundert Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford

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