Christian Boltanski
Réserve: Les Suisses morts, 1990
Reserve: Die toten Schweizer
Die fast zwei Meter hohe Installation aus übereinandergestapelten Blechkisten bildet einen engen Gang. Dieser ist am Ende verschlossen und wird von oben spärlich durch schwarze Bürolampen beleuchtet. Im Innenraum klebt auf jeder Kiste ein schwarz-weißes Porträtfoto mit schwarzem Rand. Die Aufnahmen stammen von Passfotos, zurechtgeschnittenen Schnappschüssen oder Todesanzeigen aus schweizerischen Tageszeitungen. Jeglicher Hinweis auf die Identität der Verstorbenen oder den möglichen Inhalt der Kisten fehlt. Bei näherem Betrachten fällt auf, dass einige der Fotos mehrfach verwendet sind. Boltanski entlarvt die Vorstellung von Individualität als Fiktion und zeigt, wie gesellschaftlich gestiftete Identität in der Anonymität des Todes verloren geht. Die dicht gedrängte Lagerung der Kisten erinnert an die Bürokratie des 20. Jahrhunderts. Das begehbare Memento mori ruft so Erinnerungen an die staatlich organisierten Massenmorde des vergangenen Jahrhunderts wach, die das Konzept der Würde des Einzelnen zutiefst erschüttert haben.
Daniel Koep