François Perrier (genannt Bourguignon), Radierer
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler, Erfinder
Raffael (Werkstatt), Maler

Merkurs Flug durch die Lüfte, um 1641

Aus einer Folge nach Raffaels Fresken der Geschichte von Amor und Psyche in der Villa Farnesina, Blatt 10

Im 16. Jahrhundert hatten mehrere Künstler wie Marcantonio Raimondi (Inv.-Nr. 287 und 289)) oder Jacopo Caraglio (Inv.-Nr. 550) den Farnesina-Zyklus um Amor und Psyche mit diversen Nachstichen bekannt gemacht. (Anm. 1) Dabei handelte es sich aber ausschließlich um einzelne Figuren oder herausgelöste Szenen. Zudem beruhten diese Wiedergaben auf Vorstudien und nicht auf den Deckenmalereien. So konnte man sich lange Zeit keine umfassende Vorstellung von der komplexen Raumgestaltung machen. Dies sollte sich im 17. Jahrhundert grundlegend ändern.

Den Anfang dieser beeindruckenden Entwicklung machte um 1641 François Perrier mit einer Folge von zehn Blättern mit den Pendentifs und zwei Darstellungen der Deckenfresken. Perrier konzentrierte sich konsequent auf die Hauptfiguren und ließ das für den Raumeindruck durchaus prägende ornamentale Beiwerk komplett. Seine seitenverkehrten Wiedergaben sind relativ detailgetreu. Sie atmen Leichtigkeit und Lockerheit, was an der gewählten Radiertechnik, aber auch an Perriers individuellem Stil liegt. Beispielhaft zeigt dies seine Wiedergabe von Merkur, der an der westlichen Stirnseite der Decke eine herausgehobene Position im Raum einnimmt. Der Götterbote fliegt mit ausgebreiteten Armen und flatterndem Gewand vom Himmel herab, um die Suche nach der verschwundenen Psyche zu verkünden. Das Moment des Schwebens ist durch Perriers leichte Nadelführung hervorragend wiedergegeben, denn nichts Schweres haftet an der Figur. Es entsteht sogar der Eindruck, als ob Merkur auf den Betrachter zuzufliegen scheint.

Die genaueren Entstehungsbedingungen von Perriers Folge sind nicht bekannt, auch kann ihre Datierung nur indirekt abgeleitet werden. Der als Maler und Graphiker hervorgetretene Perrier war der Sohn eines Goldschmiedes aus der Franche-Comté. 1625–1630 und 1635–1645 hielt er sich in Rom auf, wo er Antiken und die großen Meister der Renaissance studierte. Bekannt wurde er neben dem Amor und Psyche-Zyklus mit der 1638 edierten Folge Segmenta nobilium Signorum et Statuarum, mit der er antike Statuen wiedergab. Die stilistisch ähnliche Farnesina-Serie dürfte kurz darauf entstanden sein. (Anm. 2)

Wie oben angedeutet, markiert Perrier den Ausgangspunkt für ein vor allem im 17. Jahrhundert nachweisbares starkes Interesse der Graphiker an den Farnesina-Fresken. Innerhalb weniger Jahrzehnte erschienen zahlreiche Serien mit sämtlichen Hauptfresken bzw. den Nebenszenen. (Anm. 3) Für die Beliebtheit von Perriers Folge spricht, dass sie von Susanna Maria von Sandrart kopiert wurde. (Anm. 4) Die wohl ambitionierteste Folge der Fresken publizierte Nicolas Dorigny 1693. (Anm. 5) Diese gibt nicht nur die Haupt- und Nebenszenen komplett wieder, sondern macht auch den räumlichen Zusammenhang klar. Zudem liefert die Folge eine längere Erläuterung der dargestellten Ereignisse. Unverkennbar tritt hier eine dokumentierende Haltung neben das künstlerische Interesse an Raffaels Erfindungen. Nach diesem Meilenstein nahm im 18. und 19. Jahrhundert das Interesse an graphischen Reproduktionen der Farnesina-Fresken wieder deutlich ab.
David Klemm

LIT (Auswahl): Robert-Dumesnil 6 (1842), S. 173, Nr. 30; Passavant 1839b, S.
284; Ausst.-Kat. Paris 1983, S. 214, Nr. 311; Höper 2001, S. 352, Nr. E 8.18.10

1 Zu erwähnen wäre auch Cherubino Alberti, der drei Wiedergaben mit ornamentaler Rahmung herausbrachte; vgl. Ausst.-Kat. Brescia 2020, S. 96–97, Nr. 26.
2 Vgl. Clark 2001, S. 68.
3 Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò 1985, S. 154–156; Höper 2001, S. 351–359.
4 Höper 2001, S. 356–357, Nr. E 8.20.
5 Höper 2001, S. 353–356.

Details zu diesem Werk

Radierung 191mm x 249mm (Platte) 238mm x 264mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 70397 Sammlung: KK Druckgraphik, Frankreich, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

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