Nicolas Chaperon (auch: Chapron), Radierer
Pierre Mariette (I), Verleger

Nicolas Chaperon neben einer Büste Raffaels, die von der Personifikation des Ruhms (Fama) mit einem Lorbeerkranz bekrönt wird, 1649

Aus: "SACRӔ HISTORIӔ ACTA A RAPHAELE VRBIN IN VATICANIS XYSTIS [...]", Rom 1649, Frontispiz

Der französische Maler, Zeichner und Kupferstecher Nicolas Chaperon lernte die Malerei bei Simon Vouet in Paris und war 1642 bis 1651 im Atelier von Nicolas Poussin in Rom tätig. Chaperon, der kurz nach seiner Rückkehr nach Lyon – er sollte dort das Rathaus ausmalen – überraschend und jung verstarb, kannte also die Werke Raffaels in der Ewigen Stadt aus eigener Anschauung. Mit der vorliegenden umfangreichen Kupferstichserie nach Raffaels Fresken in den Loggien des Vatikan (vgl. Inv-Nr. 70525), aus der wir hier im Hinblick auf den ansteigenden Raffaelkult das Frontipiz wiedergeben, machte sich der Künstler 1649 international bekannt. Doch die spätere Rezeption des Künstlers wurde durch die Angriffe Poussins, die dieser in seiner Korrespondenz mit Paul Fréart de Chantelou zum Besten gab, stark überlagert, so dass Chaperon, dessen eigene Gemälde über Jahrhunderte meist als Werke Poussins angesehen wurden, als Künstler erst sehr spät seinen Platz in der französischen Kunstgeschichte fand. (Anm. 1) Poussin beschrieb beispielsweise, dass Chaperon sich weigerte, eine Kopie nach Raffaels Verklärung Christi mit der notwendigen Sorgfalt zuende zu führen.
Der Tafelband Chaperons (auch als Raffael-Bibel bezeichnet), der neben den graphischen Wiedergaben der biblischen Darstellungen in den Loggien von Giovanni Lanfranco und Sisto Badalocchio (1607; Kat. 65) (Anm. 2) und von Orazio Borgianni (1615) (Anm. 3) künstlerisch zu den besten seiner Art gehört, enthält neben dem hier wiedergegebenen Frontispiz und den 52 Wiedergaben von Details der zwischen 1516 und 1519 von Raffael und seiner Werkstatt ausgeführten Loggien-Fresken (Anm. 4) noch ein Widmungsblatt mit Raffaels Fresko des Jesaja in Sant’Agostino in Rom. (Anm. 5)
Die eingangs erwähnte, sehr selbstbewusst erscheinende künstlerische Haltung Chaperons spiegelt zweifellos auch das Frontispiz seiner Loggien-Folge wieder. Es zeigt den Künstler in der Haltung des raffaelischen Jesaja sitzend unterhalb einer auf einer Säule postierten Raffaelbüste (Anm. 6), die von der Allegorie des Ruhmes (Anm. 7) mit einem Lorbeerkranz auf dem Haupt gekrönt wird. Chaperon umarmt zugleich verehrend und sich selbst dabei erhöhend den Sockel der Raffael-Büste, seine linke Hand führt die Feder, mit der rechten deutet er auf die lateinische Inschrift der Säule, die dem Spruch auf Raffaels Grab im Pantheon entlehnt ist. Darunter findet sich der stolze lateinische Hinweis des Künstlers, dass er, Chaperon, es sei, der mit seinen graphischen Wiedergaben die Malerei Raffaels, wie dieser es auch getan hatte, aus dem Schatten ans Tageslicht bringt. Matthias Winner brachte 1987 das Frontispiz Chaperons in Zusammenhang mit dem gemalten Selbstbildnis Nicolas Poussins in Berlin, das im selben Jahr entstand und in dem er Parallelen im Charakter der Selbstdarstellung beider Künstler verbunden mit nobilitierenden Rückgriffen auf Raffael und seine Kunst sah. (Anm. 8)
Chaperons Frontispiz wurde 1674 in England von Thomas Sprat im Frontispiz seiner History of the Royal Society kompositionell eng rezipiert. (Anm. 9) Hier wurde die Figur Raffaels durch König Karl II., gekrönt durch die Fama, und die Chaperons durch den Präsidenten der Royal Academy, William Brouncker, ersetzt.
Andreas Stolzenburg

LIT (Auswahl): Robert-Dumesnil VI (1842), S. 216, Nr. 1 IV (von IV); Ausst.-Kat.
Paris 1983, S. 195, Nr. 260; Bernini Pezzini/Massari/Prosperi Valenti Rodinò
1985, S. 86–89, Nr. V.1–53; Winner 1987, S. 381–382; Ausst.-Kat. Nîmes 1999, S.
165–168; Ntr. 41 (mit älterer Lit.); Höper 2001, S. 445, Nr. G 16.1 (als Die Muse
Klio bekränzt die Büste Raffaels in Anwesenheit Chaperons?); Brandt/Hefele/Lehner/Pfisterer 2021, S. 560, Nachtrag Nr. IV

1 Jouanny 1911/1968, S. 206–22 (in verschiedenen Briefen). Zu Chaperon allgemein siehe Brejon de Lavergnée 1998, S. 186–187 (mit älterer Lit.); Ausst.-Kat. Nîmes 1999.
2 Hamburger Kunsthalle, Bibliothek, Inv.-Nr. kb-1863-85-137-1 bis 54.
3 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 45499-1 bis 52.
4 Zu den Fresken siehe Höper 2001, S. 425–426 (mit älterer Literatur).
5 Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 70325. In der Bibliothek der Kunsthalle ist auch eine vollständige gebundene Ausgabe der Kupferstichfolge vorhanden, Inv.-Nr. kb-1938-18-1 bis 55.
6 In Ermangelung der noch nicht existenten Büste Pietro Naldinis, die fortan als Musterbeispiel einer Raffaelbüste galt, scheint Chaperon sich auf das das Selbstbildnis mit einem Freund von 1518/20 (vgl. Inv-Nr. R-00042) oder auf das bärtige Bildnis Raffaels von Bonasone von 1540/50 (Inv.-Nr. 592) zu beziehen.
7 Auch als Klio identifiziert (Höper 2001, S. 445), doch spricht die Posaune eher für eine Personifikation der Fama, da Klio die Heldentaten der Geschichtsschreibung für gewöhnlich auf eine Tafel einträgt.
8 Winner 1987, S. 380–382. Winner weist auf die antikische Kleidung beider Künstler hin und in Poussins Selbstbildnis (Staatliche Kunstsammlungen Berlin, Gemäldegalerie, vgl. den Stich von Jean Pesne; Ausst.-Kat. Nîmes 1999, S. 167, Abb. 41a) besonders auf das Raffael-Zitat der beiden Putten mit Ghirlanden aus dem Jesaja-Fresko Raffaels in Sant’Agostino in Rom (vgl. Inv-Nr. 2001-2 und 2003-11).
9 Sprat 1674, Frontispiz; dazu ausführlich Hunter 2017

Details zu diesem Werk

Radierung 268mm x 220mm (Platte) 260mm x 350mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 70324 Sammlung: KK Druckgraphik, Frankreich, 15.-18. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang, CC-BY-NC-SA 4.0

Wir sind bestrebt, die Art und Weise zu hinterfragen, wie wir über Kunst und unsere Sammlung sprechen und diese präsentieren. Daher freuen wir uns über Ihre Anregungen und Hinweise.

Feedback