Giuseppe Marri, Stecher
nach Samuele Jesi, Zeichner
nach Raffael, eigentlich Raffaello Santi oder Sanzio, Maler

Bildnis Papst Leo X. mit den Kardinälen Giulio de'Medici und Luigi Rossi, 1837

Aus: „L'Imperiale e Reale Galleria Pitti illustrata per cura di Luigi Bardi“, Florenz, 1837-1842, Band 1, 1837

Das Bildnis Leos X. mit den Kardinälen Giulio de’Medici und Luigi de’Rossi entstand um 1518–1519 und zählt damit zum Spätwerk Raffaels. Angesichts seiner großen künstlerischen Bedeutung überrascht es, dass eine intensive graphische Auseinandersetzung mit dem Gemälde erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte. Ein wichtiges Beispiel dafür stellt Giuseppe Marris großformatiger Kupferstich dar. Wie aus der Signatur hervorgeht, wurde das Blatt in Faenza, dem Geburtsort Marris, gestochen, an den dieser 1830 nach Aufenthalten in Rom und in Mailand zurückkehrte; publiziert wurde es im ersten der insgesamt vier Bände von Luigi Bardis Katalog der Galleria Pitti in Florenz 1837, für die Marri noch weitere Reproduktionen anfertigte. (Anm. 1) Als Stichvorlage diente Marri eine Zeichnung des nahezu gleichaltrigen Samuele Jesi, der selbst einen vielgerühmten Stich nach dem Gemälde fertigte. Da Passavant diesen in seiner Raffael-Monographie erwähnt, muss er vor 1839 entstanden sein. (Anm. 2) Von Interesse ist, dass der Kunsthistoriker Leopoldo Cicognara Jesi bereits in einem Brief von 1831 mitteilte, er erwarte den Kupferstich sehnsüchtig. (Anm. 3) Insofern ist es gut möglich, dass die Stichzeichnung deutlich vor 1839 entstand, Marri sie kannte und seiner eigenen Version aufgrund ihrer außerordentlichen Qualität zugrunde legte. Dass sich beide Stecher für eine graphische Wiedergabe des Gemäldes entschieden, spricht für ein großes Interesse des Marktes am Papstportrait.

Raffaels Bildnis zeigt Leo X. an einem Tisch sitzend, die rechte Hand auf ein prunkvoll illuminiertes Buch gelegt, in der linken Hand eine Lupe haltend. Eine verzierte Silberglocke steht neben dem aufgeschlagenen Band und ergänzt die stilllebenartig anmutende Objektgruppe innerhalb des Portraits. Die Kardinäle Giulio de’Medici und Luigi de’Rossi, Neffen des Papstes, stehen hinter ihm zu seiner Rechten und zu seiner Linken. Auffällig ist Raffaels überaus feine Ausdifferenzierung der kostbaren Materialien und die Ausarbeitung des Gemäldes bis ins kleinste Detail. (Anm. 4) In der Forschung gibt es verschiedene Deutungsansätze für den Anlass des Gemäldes, beispielsweise als offizielles Staatsbildnis oder aber als privateres Familienbildnis. (Anm. 5) In seinem Kupferstich gelingt es Giuseppe Marri hervorragend, den erwähnten Detailreichtum des Portraits in all seinen Feinheiten darzustellen; auch das Modellieren der Hell-Dunkel-Kontraste ist überzeugend. Lediglich in Bezug auf die Wiedergabe der kostbaren Stoffe wie etwa dem Samt der Gewänder wirkt das Blatt aufgrund der technischen Eigenschaften des Mediums deutlich härter. Die Reproduktion zeugt dennoch von der Expertise und Virtuosität Marris als Stecher und verweist zugleich auf dessen Anknüpfen an die ihm von seinem Lehrer Giuseppe Longhi vermittelte hervorragende italienische Stecherschule seiner Zeit.
David Klemm und Klara Wagner

LIT (Auswahl): Höper 2001, S. 243–244, Nr. B 27.7 (mit älterer Lit.)

1 Bardi 1837.
2 Passavant 1839, Bd. 2, S. 332.
3 Höper 2001, S. 243, B 27. 6.
4 Ebd.; vgl. Höper 2001, S. 242, Nr. B 27 und Meyer zur Capellen 2008, S. 162, Nr. 81. Bereits Vasari wies auf die außerordentlichen malerischen Qualitäten des Werkes hin. Bei der Bibel handelt es sich vermutlich um die sogenannte Biblia Hamilton. Die polierte Kugel auf der Stuhllehne ist möglicherweise ein Verweis auf die sogenannten Palle im Wappen der Medici.
5 Aus Quellen geht hervor, dass es aufgrund der persönlichen Abwesenheit Leos X. bei der Hochzeit Lorenzo di Piero de’Medicis während der Feierlichkeiten über der Banketttafel platziert wurde; Minnich 2003, S. 1007–1008, S. 1027; Meyer zur Capellen 2008, S. 162, Nr. 81. Restauratorische Untersuchungen haben ergeben, dass das Portrait zunächst als Einzelbildnis des Papstes angelegt war und die beiden Kardinäle der Komposition nachträglich hinzugefügt wurden – möglicherweise war es ursprünglich für einen anderen Ort und Zweck bestimmt, der Auftrag und damit auch die Komposition wurden jedoch mit der Festsetzung des Hochzeitsdatums modifiziert; Minnich 2003, S. 1029–1030. Für ein eher privates Familienbildnis, welches die Beziehungen der Dargestellen untereinander verdeutlicht und zugleich den Status und die Macht der Medici manifestiert, spricht unter anderem die ins Bild gesetzte Nähe Luigi Rossis zu seinem päpstlichen Cousin, verdeutlicht durch seine auf den Stuhl gelegten Arme: Rossi zählte zu den engen Vertrauten Leos X.; Minnich 2003, S. 1015– 1016, S. 1027. Auch das Fehlen von Kleidungsstücken, welche der Papst während öffentlicher Gottesdienste oder Zeremonien trug, spricht gegen die These eines offiziellen Staatsportraits; Minnich 2003, S. 1037–1038.

Details zu diesem Werk

Kupferstich 277mm x 214mm (Bild) 385mm x 300mm (Platte) 445mm x 330mm (Blatt) Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett Inv. Nr.: 68869 Sammlung: KK Druckgraphik, Italien, 15.-19. Jh. © Hamburger Kunsthalle / bpk Foto: Christoph Irrgang

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